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Elbvertiefung, Moorburg, A7-Autobahndeckel: Drei Schlagworte, die verdeutlichen, dass wir in keiner Ökoidylle leben. Doch trotzdem wurde Hamburg zur Umwelthauptstadt Europas 2011 ernannt. Wie passt das zusammen?

Hinter dem Schreibtisch von Anja Hajduk lagern Aktenordner, gehortet in abwaschbaren Schrän- ken von behördlichem Weiß. Hajduk ist bei den Grünen und Hamburgs Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt. Mal redet die 47-Jährige wie eine typische Politikerin, dann rutschen ihr Formulierungen raus wie „den Umweltschutz in den Gestaltungsmittelpunkt setzen“. Bei Themen wie Kohlekraftwerk Moorburg und anstehende Elbvertiefung, ganz heißen Eisen in der Landespolitik, reiht sie vorsichtig Worte aneinander wie jemand, der auf einer dünnen Eisfläche einen Schritt vor den nächsten setzt. Doch weiß sie auch, dass sie die Bevölkerung eher mit einer Prise direkter Ehrlichkeit erreicht.

Angesprochen auf die Verleihung des Titels Umwelthauptstadt Europas 2011, den Hamburg jüngst von der Europäischen Union verliehen bekommen hat, formuliert Hajduk deswegen: „Gerade eine Stadt, die keine Ökoidylle ist, muss Umwelthauptstadt sein wollen.“ Und: „Wir sind eigentlich Teil des Problems und wollen mit Blick auf den Klimaschutz jetzt Teil der Lösung werden.“ Den Sachverhalt, keine Ökoidylle zu sein, erfüllt Hamburg zweifelsohne. Daher auch die bewusste Selbstbezichtigung einer ansonsten sehr optimistischen Senatorin, die „den Beweis antreten will, dass man es ernst meint“. Ernst mit Hamburg als Green Capital, trotz verschiedener Umwelt-Baustellen und diverser Initiativen, die von der Basis aus gegen politische Entscheidungen vorgehen. Eine dieser Baustellen bedroht die Gemüsebeete und Obstbäume von Ralf Hendel. Der 42-jährige Unternehmer streitet in der Initiative „Apfelbaum braucht Wurzelraum“ für den Erhalt der Kleingartenanlage in Bahrenfeld. Sie soll dem Autobahndeckel weichen, der für die A7 geplant ist.

Ein enttäuschter Kleingärtner

Hendel legte Unterschriftenlisten aus, schrieb Briefe an die Stadt, beteiligte sich an Diskussionen und stürmte auch mal eine grüne Podiumsdiskussion, auf der über Städtebau und Bürgerbeteiligung diskutiert wurde. Dabei ist Hendel selbst das Paradebeispiel eines hemdsärmeligen Grünen, mit Wuschelkopf und aus- geprägter Friedfertigkeit. Aber er ist vor allem enttäuscht von der Partei, zu deren Wählern er sich einst zählte. Und er sieht sich als Bürger nicht beteiligt, obwohl es um seine direkten Belange geht. „Uns wurden Ausgleichsflächen auf dem neu geschaffenen Gelände des Deckels angeboten. Aber darauf können wir nicht einmal Bäume pflanzen oder Schaukeln befestigen.“ Denn für eine Bepflanzung ist der Deckel nicht ausgelegt.

Hendel und seine Mitstreiter fühlen sich hintergangen. Er weiß, dass sein Interesse und das von 300 Kleingärtnern im Senat als Partikularinteresse gilt. Dass der teilende Graben zwischen Bahrenfeld und Othmarschen mit dem Deckel endlich geschlossen und der Lärm der Autobahn eingedämmt werden könnte. Doch Hendel sagt: „Die A7 wird zum Wohl der Allgemeinheit überdeckelt. Und wir sind der einzige Stadtteil, der die Gesamtlast zu schultern hat.“

Eine zuversichtliche Senatorin

Auf dem Schreibtisch von Anja Hajduk liegen Manuskripte, auf denen das Logo und der Slogan der Nominierung zu erkennen sind. Die sind eher schlicht, „I Love Hamburg“, mit einem grünen Herzen in der Mitte. Vielleicht sind die Papiere nur Dekoration, vielleicht auch echte Arbeitsunterlagen. In ihnen stünden alle Einzelheiten der Bewerbung, alles über die „aktuell hohen Umweltstandards, die Umwelt- und Entwicklungsziele und die Potenziale der Stadt als Vorbild und Kommunikator“. So heißt es ganz offiziell.

Auch Ralf Hendels Ungemach, die Überdeckelung der A7, ist dort aufgeführt – als Lärmschutz und Landgewinnungsmaßnahme im Stadtraum. Das liest sich gut, so wie die 15 Prozent weniger CO2-Ausstoß seit 1990. Die hohe Trinkwasserqualität bei relativ niedrigem Verbrauch. Die Ausweitung des öffentlichen Nahverkehrs. Die zusätzlichen Radspuren auf der Straße. Dass 16,7 Prozent des Stadtgebiets Wald, Erholungs- und Grünfläche sind. Und dass es über 300 Veranstaltungen geben wird, die auf eine Bürgerbeteiligung abzielen – als Umwelthauptstadt hat man schließlich auch einen Erziehungsauftrag.

Und den weitet die Stadt noch aus und fährt in einem „Zug der Ideen“ das Hamburger Modell durch 17 europäische Städte spazieren. Schließlich ist Umweltschutz ein globales Anliegen und die Hansestadt eher in der Lage, Gelder für die Außendarstellung in die Hand zu nehmen, als etwa Münster, das sich ebenfalls beworben hatte. Zudem muss der Titel „Umwelthauptstadt“ erst noch etabliert werden, im Gegensatz etwa zum Etikett „Kulturhauptstadt“. Da macht sich ein potenter Titelträger umso besser.

Aber die Wahl zur Green Capital ist für Senatorin Hajduk nicht nur Indiz, den rechten Weg zu bestreiten. Sondern dient auch als brauchbares Argument, um für Partnerschaftsmodelle zu werben, mit denen sie auch die Industrie in die Verantwortung nehmen will. Freiwillige Um- weltschutzmaßnahmen im Betrieb im Austausch gegen eine Öko-Bescheinigung, so lautet der Deal. Der Tausendste Umweltpartner soll in zwei Jahren gewonnen sein. „Wir brauchen die Umweltidee als Antreiber, unsere Art zu leben und zu wirtschaften zu ändern“, erklärt sie die Bestrebungen der Hansestadt, grünes Engagement zu belohnen. Und das erscheint trotz oben genannter Verbesserungen notwendig. Denn Dreiviertel aller Treibhausgasemissionen stam- men aus sogenannten Ballungsräumen. Deswegen werden dort Lösungen gesucht, wo die Probleme nicht weit sind.

Der attraktive Hamburger Kontrast

„Wenn Hamburg Umwelthauptstadt ist, soll sie eine echte sein und keine, die sich nur mit dem Etikett schmückt“, sagt Friedrich Brandi. Echt ist für ihn derzeit vor allem ein Problem der künftigen Umwelthauptstadt. Es hört auf den Namen „Moorburg“. Südlich der Elbe baut Energiegigant Vattenfall ein Kohlekraftwerk, das voraussichtlich 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr in den Hamburger

Himmel abgeben wird. Was Friedrich Brandi aber wirklich zu schaffen macht, ist die Fernwärmetrasse, eine kilometerlange Röhre, die vom Kraftwerk quer durch Altona führen soll, unter Häusern und über Parkanlagen – für Brandi kaum hinnehmbar. Er ist Pfarrer der Gemeinde Altona-Ost, und es ist ihm ein Anliegen, für die Lebensqualität in seiner Gemeinde zu sorgen. Die Trasse würde das Gesicht seines Stadtteils völlig verändern. Grünflächen wären geopfert, Bäume gefällt worden. Also bezog er Position gegen den Bau. Er informierte seine Gemeinde und organisierte in seiner Kirche Diskussionsrunden, zu denen er die streitenden Parteien an einen gemeinsamen Tisch lud. Unterstützung aus dem Senat erhielt er keine. Auch nicht von der Umweltpartei. „Manchmal hatte ich das Gefühl, man macht grüne Politik gegen die Grünen.“

Die Rotorblätter der Miniatur- Windkraftanlage auf dem Schreibtisch von Anja Hajduk stehen still. Es gäbe manchmal Rückschläge, sagt sie. Und spricht wieder sehr langsam, dreht und wendet jedes einzelne Wort und prüft es auf den genauen Sitz im Satzgefüge. „Aber das Thema Umweltschutz ist so wichtig, dass man die Kraft haben muss, solche Rückschläge auszuhalten.“ Die Stadt mit dem zweitgrößten Containerhafen Europas gibt in der Tat ein kontrastreiches Bild ab. Dieser Kontrast dürfte es sein, der Hamburg als Paradebeispiel auf europäischer Ebene attraktiv macht. Als Preisträger Umwelthauptstadt 2011 und als Metropole mit Schmutz und Strahlkraft. Denn es ist ein Modell, das stets zwischen Wirtschaft und Umwelt abwägen muss. Das typisch ist für unseren westlichen Anspruch, Wohlstand und Nachhaltigkeit zu vereinen.

Will der Umweltschutz in Hamburg mittel- bis langfristig davon profitieren, muss der Preis als Ansporn benutzt werden, nicht als von der EU abgesegnete Steilvorlage zum Greenwashing. „Man steht auch unter Beobachtung – und das zu Recht“, so Senatorin Hajduk. „Denn man muss den Beweis antreten, dass man es ernst meint.“ Dazu wird Hamburg im nächsten Jahr mit Sicherheit genügend Gelegenheiten haben.

Erschienen in PRINZ, November 2010