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Apple kann dem Markt für Computerspiele Impulse geben. Selbst wenn sich der neue App Store für den Mac nicht als Vertriebskanal für Computerspiele etabliert, kann das Unternehmen einen Prozess in Gang setzen, an dessen Ende Spiele günstiger werden

Auf Apples Homepage konnte man Mitte Januar einem Zähler zusehen. Seine letzten drei Ziffern rotierten dramatisch schnell, am 22. Januar war es dann soweit: Die magische Grenze von zehn Milliarden Downloads war erreicht. So viele Apps sind seit Juli 2008 über den virtuellen Ladentisch des „alten“ App Store gegangen. Die Töchter einer Frau aus der Kleinstadt Orpington in der britischen Grafschaft Kent hatten den Zähler mit dem Kauf einer App zum Falten von Papierfliegern an den Anschlag gebracht und damit einen 10.000-Dollar-Einkaufsgutschein gewonnen.

10.000 Dollar für den zehnmilliardsten Download (in Ziffern 10.000.000.000), das sind eine Menge Nullen. Zahlen, die eine hohe Bereitschaft, Software aus Apples Online-Shop herunterzuladen, beweisen. Trotz aller Vorbehalte gegenüber der restriktiven Marktpolitik des Computergiganten. Es wird einem eben leicht gemacht dort einzukaufen, wenn dafür ein Mausklick ausreicht und man nicht jedes Mal Kreditkartendaten oder Infos zum Paypal-Account eingeben muss. Die Abstraktion heiligt die Mittel.

Aber die Plattform wird nicht nur von den Verbrauchern akzeptiert. Apple stellt sie, gegen eine Umsatzbeteiligung auch der Softwareindustrie und freien Entwicklern zur Verfügung. Wer mag, kann seine Software sogar kostenlos dort anbieten. Dann übernimmt der US-Konzern die Kosten für den Vertrieb, schließlich müssen auch Gratis-Apps an die Kunden übertragen werden – und das gibt es nicht kostenlos.

Apple und Gaming? Das geht doch nicht

Derzeit werden von Apple mehr als 320.000 Apps zum Download auf iPhone, iPod touch und iPad angeboten, von der werbefinanzierten Digitalflatulenz bis zum teuren Navigations-Programm. Deren Qualität ist so unterschiedlich wie die Größe ihrer Anbieter. Ein-Personen-Unternehmen treten gegen börsennotierte Majors wie Electronic Arts und Activision an. Konstant ist nur die Preisgestaltung: Das Gros der Apps ist zum Startpreis von 79 Cent zu bekommen, etwa ein Drittel gibt es kostenlos. Interessant ist, dass fast immer Spiele die Download-Charts anführen. Dabei hieß es doch lange Zeit: Apple und Gaming? Das geht nicht.

„Das geht schon“, findet Hannes Bohn aus Berlin. Bohn, 28, besitzt mehrere hundert Videospiele, diversen Konsolen – und ein Macbook der neuen Generation. „Ich kaufe mir doch nicht extra einen Windows-PC, um am Rechner zu spielen“, sagt der Student der Japanologie. „Inzwischen gibt es eine gute Auswahl an Spielen für den Mac, auch wenn es manchmal etwas dauert, bis sie von den Anbietern – nach der PC-Version – fertiggestellt werden. Und seitdem das Online-Spiele-Portral Steam Mac-Spiele führt, habe ich auch dort einen Account.“

Steam bietet PC-Spiele zum Herunterladen an. Mit 30 Millionen Nutzern besitzt es quasi ein Monopol auf den Online-Spiele-Vertrieb. Dort gibt es Triple-A-Spiele – die Fachvokabel für teuer produzierte und teuer veräußerte Vorzeigeprodukte der Branche – als reinen Datenkauf, also zu, herunterladen, direkt auf die Festplatte. Der Egoshooter „Call of Duty: Black Ops“ wurde dort pünktlich zum offiziellen Starttermin angeboten. Verpackung und Datenträger fehlen, aber: „Das haptische Erlebnis wird überschätzt. Ich muss mir nicht mehr jedes Spiel ins Regal stellen. Außerdem spare ich mir den Weg ins Kaufhaus“, so Bohn. Und wenn man beispielsweise einen neuen PC oder Mac kauft, kann man bei Steam gekaufte Spiele erneut herunterladen.

Downloads auf dem Vormarsch

Die Spielebranche hat sich auf den kürzesten aller Vertriebswege eingestellt. Der Anteil der Downloads am Spielemarkt hat sich innerhalb des letzten Jahres von vier auf acht Prozent verdoppelt. Sony und Microsoft erzielen hohe Umsätze mit dem Vertrieb von Spielen, Filmen und Download-Content über die Online-Netzwerke ihrer Konsolen.

Olaf Wolters, Geschäftsführer vom Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), kann das bestätigen: „Die digitale Distribution ist auf dem Vormarsch, nicht nur auf den Apple-Plattformen. Steam oder Gamesload vertreiben schon länger Triple-A-Produkte rein digital.“

Dabei gibt es entscheidende Unterschiede zwischen Apple und Steam. Letztere genießen unter Spielern eine hohe Wertschätzung. Valve, der Betreiber von Steam, ist zugleich der Entwickler von beliebten Titeln wie „Half Life“ und „Portal“ und konnte eine aktive Spielergemeinde rund um den Online-Vertrieb aufbauen. Apple dagegen hatte nie einen besonderen Bezug zu Videospielen. Doch die integrierte Lösung des App Store, der keine Browser-Unterstützung benötigt, ist technisch fortschrittlich, das iPhone und der iPod Touch sind weit verbreitet. Und man kann sich als Kunde darauf verlassen, dass die Dinge laufen, sobald sie mit dem angebissenen Apfel in Verbindung gebracht werden.

Warum Apple eine Rolle spielt

Diese Erwartung soll jetzt auch der Anfang Januar eingeführte Mac-App-Sore erfüllen, ein Software-Downloadshop, in dem der Kauf vom Computerspielen ebenso einfach sein soll wie im App Store für iPhone und iPad.

Dabei haben Apple-Computer weltweit einen Marktanteil von gerade einmal 8,5 Prozent. Und nur etwa fünf Prozent der Nutzer von Steam spielen mit dem Mac. „Das Spieleangebot für Macs ist generell überschaubar,“ sagt Thomas Wolters. „Da alle Macs mit einem speziellen Apple-Betriebssystem ausgestattet sind, müssen alle Spiele individuell darauf angepasst werden.“ Warum also soll der Mac App Store überhaupt eine Rolle spielen?

Weil Apple seit Jahren zur richtigen Zeit das richtige Produkt auf den Markt und ihn damit in Wallung bringt. Auf der diesjährigen Technologiemesse CES haben alle relevanten Hersteller Smartphones sowie 80 eigene Tablet PC-Varianten vorgestellt. Wartet Apple mit einem digitalen Distributionskanal für große Datenpakete auf, der einen offenen Preiskampf zulässt, wird der Computerspiel-Markt reagieren. Das gibt Anlass zu Spekulationen.

Preiserosion vermeiden

Sollte Apple allein durch eine dauerhafte Präsenz bei Gamern Pluspunkte sammeln, könnte sich Microsoft genötigt fühlen, einen funktionalen Download-Service für Windows-Games einzurichten. Aufgeweckt durch den Erfolg von Apples App Store bastelt Amazon an einem Vertrieb für Android-Applikationen. Google dürfte mit Lösungen für das Chrome Betriebssystem den Markt betreten. Und BIU-Chef Olaf Wolters glaubt: „Spannend wird es erst, wenn die Publisher über eigene Plattformen verfügen.“

Aber egal ob Activision, Electronic Arts oder andere – keiner hat ein Interesse, langfristig entwickelte Marken zu verhökern. „Die Industrie ist sehr preissensibel und wird versuchen, eine Preiserosion zu vermeiden“, weiß Wolters. Zudem sind sie an Abmachungen mit dem Einzelhandel und eben großen Download-Anbietern wie Steam gebunden. Äußern wollte sich die Industrie zu diesem Thema nicht – weder Activision oder Electronic Arts, noch Steam waren zu einer Stellungnahme bereit.

Kleinere Entwicklungsstudios wären da flexibler. Claas Paletta vom Hamburger Entwickler Daedalic bestätigte: „Mittelfristig ist es für uns sicherlich wichtig, auch auf Apples Marktplatz vertreten zu sein.“ Zwar vertreibt Daedalic Spiele wie „Machinarium“ im Selbstverlag, geht dabei aber noch über den Einzelhandel. Ein prominenter Platz in Apple Mac App Store und ein Kampfpreis kämen sicherlich dem Verkauf zugute. Und dem Spieler. Schon hat der Apples neuen Onlineshop vorzügliche Indiegames wie „Braid“ und „The Path“ im Angebot. Andere werden folgen. Vermutlich lange bevor auch im Mac App Store die ersten zehn Milliarden Apps verkauft worden sind.

Erschienen bei Spiegel Online