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„Was kann man denn noch über Fifa schreiben“, fragt Steffen, der neben mir auf dem Sofa sitzt, „ist doch jedes Jahr das Gleiche.“ „Dass es ein Gänsemarsch in Richtung Fotorealismus ist“, philosophiere ich und dresche den Ball in höchster Not ins Seitenaus.

Steffen runzelt die Stirn und spielt einen einfachen Pass durch die Mitte. Kommentator Manni Breuckmann kommentiert: „Kranker Pass“ und meint kurz darauf, da habe mein Torwart ja ganz schön alt ausgesehen, als der Ball links unten in meinem Tor einschlägt. Eins zu null für Hannover. Am liebsten würde ich den Controller in den Bildschirm donnern, beherrsche mich aber und stelle nur den Kommentar aus.

„Man könnte die Online-Features aufzählen“, schlage ich vor, „Leser mögen Fakten und brauchen eine Kaufberatung.“ „So ’n Quatsch“, antwortet Steffen. „Fakten gibt es im Netz und Kaufberatung bei Media Markt. Du hast übrigens gerade verloren.“ Das dritte Spiel in Folge. „Ach?“, sage ich und tu so, als wäre es mir egal.

„Kindermannschaften“, sagt Steffen verächtlich, wenn ich ein Champions- League-Duell vorschlage

Während ich laut sinniere, ob das regelmäßige Bolzen auf der Konsole die Taktik der nachrückenden Spielergeneration schult, hört Steffen schon gar nicht mehr hin. Stattdessen stöbert er im Menü von „Fifa 12“ nach einer passenden Drei-Sterne-Mannschaft für ein weiteres Freundschaftsspiel. „Das alte Menü war aber besser“, sagt er beiläufig.„Gerade hast du auch behauptet, die alte Steuerung sei besser, aber nur, weil du die Bude nicht getroffen hast“, entgegne ich.

Tatsächlich verläuft das neue Hauptmenü horizontal am unteren Bildschirmrand und nicht von oben nach unten. Wen juckt’s. Aber so sehen sie aus, die gravierenden Veränderungen des meistverkauften Fußballgames der Welt, dessen aktueller Ableger auf der Gamescom in Köln zum besten Konsolenspiel gewählt wurde. Horizontale Bildschirmmenüs – Fortschritt, geleite deine Kinder in die Zukunft.

Steffen wohnt nur ein paar Häuser weiter. Einmal in der Woche kommt er vorbei, wenn seine kleine Tochter endlich im Bett liegt. Er bringt dann Bier vom Spätkauf mit, und wir setzen unsere Premier-League-Saison fort. Für Steffen ist Spielzeit auch Auszeit.

Wie viele Leute, die ich kenne, spielt Steffen auf der Konsole ausschließlich „Fifa“. Und er spielt niemals Fünf-Sterne-Mannschaften. Weil echte Männer, so sagt er, nicht mit Christiano Ronaldo spielen. Der stehe synonym für die überzüchtete Upperclass des Profifußballs. „Das sind doch alles Kindermannschaften“, sagt Steffen immer dann verächtlich, wenn ich doch mal ein Champions-League-Duell vorschlage.

Als säßen wir mit Wurst und Bier auf der Tribüne

Es stimmt schon: Selbst wer selten Online-Matches austrägt, läuft schnell Gefahr, sich einer Überdosis CR7 auszusetzen. Aber wer um jeden Preis gewinnen will, der nimmt eben Real Madrid und spielt steil auf Ronaldo. Denn der Unterschied zwischen den Top-Teams und einer Durchschnittself wie Hannover 96 sind beträchtlich.

Dazu tragen auch die Veränderungen in „Fifa 12“ bei, die zwar nicht die versprochenen Gameplay-Revolution sind, aber auch nicht ausschließlich kosmetischer Natur. Spieler wie Fabregas sehen auch weit entfernte Passmöglich- keiten. Spieler wie Iniesta können an Gegnern vorbei, ohne dass wir uns am rechten Analogstick den Daumen verdrehen. Und Spieler wie Konstantin Rausch bleiben auch deswegen meist unberücksichtigt.

In der Praxis sorgt die computergestützte Eleganz allerdings dafür, dass unser erstes Duell nicht schön anzusehen ist. Das Spiel wurde nochmals einen Deut verlangsamt, und unsere mühsam in „Fifa 11“ erworbene Eingespieltheit ist dahin. „Was eumelt ihr denn da so rum?“, schimpft Steffen in Richtung Mittelfeld, als säßen wir mit Wurst und Bier auf der Tribüne und hätten die Fehlpässe nicht selbst gespielt.

Real vs Ingolstadt

Kurz zu schaffen macht auch das neue Defensiv-Gameplay. Den zweiten Verteidiger rufen wir nicht mehr mit der Schusstaste, sondern mit der rechten Schultertaste. Wer den ballführenden Spieler vom Tor abhalten, ihn mit kleinen Nickeligkeiten bearbeiten und gleichzeitig einen Mitspieler auf den Hals hetzen will, muss drei Tasten und einen Analogstick auf einmal bedienen. Kein Wunder, dass unser erstes Spiel 0:0 ausgeht. Aber Kantersiege sind sowieso selten geworden.

Für Solospieler wurde der Manager-Modus aufgehübscht, mit realistischen Transfersummen und der Möglichkeit, den Gegner vor einem Spiel in der Presse schlechtzumachen. Das ist lustig, aber Fußball ist ein Teamsport, das gilt auch für die Konsole. Deshalb setzt „Fifa“ dieses Jahr auf noch mehr Online-Features.

Neben den bekannten Mehrspieler-Modi kann man sich in internationalen Online-Ligen messen oder unter Freunden eine 10-Spiele-Saison starten. Und jedes Spiel, jedes Tor, jedes Einlegen der Spieledisk in die Konsole gibt Erfahrungspunkte. Mit denen unterstützen wir unseren Lieblingsclub, egal mit welchem Verein wir auch spielen.

Weil Real mehr Fans hat als Ingolstadt, werden die Erfahrungspunkte nicht nur addiert, sondern durch die Summe der jeweiligen Fans eines Teams geteilt. So fühlt man sich mit den Fans seines Clubs verbunden. Auch wenn gerade mal kein Kumpel auf dem Sofa sitzt und den KI-Schiri zur Sau macht.

erschienen in: GEE Display #3