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Der Messestand des Computerspiel-Entwicklers Wargaming in Halle 8 bietet ein Bild, wie man es von der Gamescom erwartet: Auf einer Bühne animiert ein Angestellter des Unternehmens rund 250 junge Männer. Auf seine Frage, wie das beste Spiel der Welt heiße, brüllen sie im Chor: „World of Tanks“. Dann wirft der Mann auf der Bühne eine Handvoll kamellengroße Plastikpanzer in die Menge, und das Ritual beginnt von vorne.

World of Tanks ist ein Online-Panzerspiel für den PC. Zwei Teams zu je 15 Spielern treten gegeneinander an. Jeder steuert ein Gefährt durch Dörfer, Schluchten oder Wüsten. Neue Panzer befinden sich nicht darunter, sondern fast nur Fahrzeuge aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Wirklich neu ist an dem Spiel sowieso nichts, weder optisch noch inhaltlich. Aber die Spieler bekommen, was sie erwarten, und das in ordentlicher Qualität.

Für Siege und gute Partien erhalten sie Münzen, um Panzer aufrüsten oder neue kaufen zu können: Ein Erste-Hilfe-Kasten an Bord heilt die Besatzung, bessere Ferngläser erhöhen die Präzision, mehr Tarnfähigkeit gibt einen Defensiv-Bonus. Fünf verschiedene Panzerklassen, vom vergleichsweise leichten Leopard aus deutschen Beständen bis zum russischen Superschwergewicht IS-7, schalten sich nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip gegenseitig aus.

Das Spiel zählt laut dem weißrussischen Betreiber, der seinen Sitz inzwischen nach Zypern verlegt hat, derzeit 35 Millionen aktive Nutzer. Das sind viele, sehr viele. Zum Vergleich: World of Warcraft spielen noch knapp 10 Millionen Menschen. Aber World of Tanks verlangt im Gegensatz zu World of Warcraft auch keine Abo-Gebühr. Es ist kostenlos. Free to Play heißt das.

Wer 50 Prozent mehr Erfahrungspunkte und Münzen sammeln möchte, um damit seinen Panzerfuhrpark aufzurüsten, kann sich einen Premium-Account freischalten, und sei es nur für drei Tage. Die besten käuflich zu erwerbenden Panzer sind mit mehr als 30 Euro allerdings richtig teuer.

Es sind bis zu 15 Prozent der Spieler, die sich zumindest hin und wieder etwas leisten. Auch das sind ungewöhnlich viele. Das Free-to-Play-Modell von World of Tanks wird von den meisten Spielern als fair empfunden, weil es Bezahlkunden nicht übermäßig viele Vorteile verschafft.

Was aber macht das Spiel so immens erfolgreich? Free to Play allein ist nicht die Antwort, solche Spiele gibt es zuhauf. Ein weiterer wichtiger Grund dürfte das Gamedesign sein, das Hardcore- wie Gelegenheitsspielern gleichermaßen ihren Platz bietet.

Christopher aus Troisdorf bei Köln ist 19 Jahre alt und spielt seit einem Jahr World of Tanks. Bis vor wenigen Wochen war er Mitglied eines Clans. Er nahm an Trainingsstunden teil und eroberte und verteidigte Gebiete im Clankriege-Spielmodus. Dann kam die neue Freundin, und Christopher hatte nicht mehr genug Zeit: „Das Spiel ist wahnsinnig taktisch, und Teamplay ist wichtig. Gerade wenn du im hohen Tier-Bereich fährst, kannst Du Dir keine Fehler erlauben.“ „Tiers“ heißen die Qualitäts-Ebenen bei World of Tanks. Die dicken Turnier-Superpanzer sind Tier-10, etwa ab Tier-5 verlässt man den Bereich der Anfängerfahrzeuge.

Wer mit hohen Ambitionen spielt, so wie Christopher, investiert viel Zeit, denn die besten Panzer des Spiels lassen sich nicht kaufen, Erfolge schon gar nicht.

Christophers Freund Martin dagegen spielt nur gelegentlich: „Ich kann schnell mal rein, zehn Minuten spielen, und dann wieder raus. Bei den meisten anderen Spielen brauche ich allein schon eine Viertelstunde, um meine Gegenstände zu sortieren.“

Zur Zielgruppe von Wargaming zählen aber nicht nur junge Spieler, sondern vor allem auch Familienväter, die keine Zeit haben für ausufernde Zock-Abende. Ihnen kommt nicht nur die kurze Matchdauer entgegen, sondern auch die Spielgeschwindigkeit. „In Battlefield kriege ich nur auf den Sack, da hab ich keinen Bock mehr drauf“, sagt Jürgen Peters aus Stuttgart. Der dünne 44-Jährige ist einer der Wenigen am Gamescom-Stand von Wargaming, der schon graue Haare hat. Peters trägt eine dreiviertellange Hose in Tarnfarben. „Ich stehe auf Panzer. Früher, beim Bund, bin ich selbst gefahren, das bleibt hängen.“ Ein deutscher Sprecher von Wargaming bestätigt, das Spiel spreche viele ehemalige Soldaten und „Geschichtsinteressierte“ an, so bezeichnet er die Militaria-Fans.

Wargaming hat einen Bonus, den andere nicht mehr haben

Die Geschichte wird in World of Tanks allerdings nicht nachgespielt – und das soll sie auch nicht. Stattdessen treten Panzer aus verschiedenen Ländern nebeneinander an. Und die Gamemaster sind besonders dafür sensibilisiert, dass sich der Frontverlauf des zweiten Weltkriegs nicht durch die Community zieht, das wäre geschäftsschädigend.

Der Einsatz der Gamemaster wird respektiert, so wie das ganze Spiel und der Publisher mittlerweile respektiert, wenn auch nicht unbedingt verehrt werden. Wargaming ist nahe dran an den Spielern und hat bislang schlicht keine relevanten Fehler gemacht. Deshalb besitzt das Unternehmen noch eine Art Bonus, den Electronic Arts und andere Konkurrenten mehr oder weniger verspielt haben.

Ein Ende des Erfolgs ist nicht abzusehen. Wargaming hat im Rahmen der Gamescom zwei European Games Awards eingeheimst: Das Unternehmen wurde als bester europäischer Publisher ausgezeichnet, denn es ist voll auf Expansionskurs und plant unter anderem eine Browserversion von World of Tanks. Den anderen Award gab es für das am meisten erwartete Browserspiel 2012. Es heißt World of Warplanes.

Erschienen auf Zeit.de
Bild: Wargaming.net