Wahlkampf 2013
Mein Wahlverhalten ist wie ein Ausschlussverfahren. Anstatt zu wählen, was ich gut und richtig finde, gehe ich den umgekehrten Weg: Ich identifiziere Positionen und Personen, die gar nicht gehen. Die streiche ich dann von meiner Liste. Ich wähle also das geringste Übel.
Dazu kommt noch ein Quäntchen Inkonsequenz. Der berühmte Wahl-O-Mat legt mir jedes mal nahe, es doch mal mit der Linken zu probieren. Tief in mir aber sträubt sich etwas dagegen und sagt, ich solle auch ein wenig auf mein Bauchgefühl hören und bei meinen Leisten bleiben und so. Meine politische Experimentierfreudigkeit kennt also ihre Grenzen. Ich frage mich aber, wie das nach einem überzeugenden Türschwellengespräch aussähe.
Canvassing und Fußgängerzonen
Das sogenannte „Canvassing“ ist gerade vor den US-Präsidentschaftswahlen ein probates – und angeblich sehr effektives – Mittel, die letzten Prozentpunkte aus einem umkämpften Bundesstaat herauszuquetschen. Haarsträubend motivierte Wahlhelferhorden ziehen dann durch ihre Nachbarschaft und vertreten in persönlichen Gesprächen die Thesen ihres Kandidaten. So viel Konfrontation kennen wir hier bislang kaum.
Die deutsche Version des Per-Du-Wahlkampfes besteht aus in Fußgängerzonen aufgestellten Abgeordneten-Stehtischen aus weißem Kunststoff. Dort stehen dann die Kandidaten. Ihr Lächeln sagt Bürgernähe. Ihre Augen weinen Müdigkeit. Sie warten mit Flyern unter großen, in Parteifarben bedruckten Schirmen, von denen sie notdürftig vor der samstäglichen Sommerferienhitze geschützt werden. Flankiert werden sie von Luftballonlakaien, die tatsächlich gute Arbeit an der Basis liefern. Schließlich sorgen sie dafür, dass die (fünfjährigen) Wähler von Übermorgen sich in spielerischer Leichtigkeit einen Scheiß um Fraktionsdisziplin und ähnlichen undemokratischen Unsinn scheren und munter die Ballonfarben mischen. Hauptsache, die Dinger fliegen.
Harper Reed, Hacker und Strategen
Nun gibt’s dieses Jahr bei uns wieder eine Bundestagswahl. Da heißt es, von den Großen lernen. Viele Parteien und Strategen dürften nach Amerika schielen, im Versuch, den erfolgreichen Wahlkampf von Präsident Obama auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Auch wenn das freilich schwierig ist, denn die Wahlkampffinanzierung wird in beiden Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt, ebenso der Datenschutz. Dazu kommen die kulturellen Unterschiede, Pessimismus (D) versus Enthusiasmus („U-S-A, U-S-A“). Und letztere beiden sind besonders wichtig in Hinsicht auf ein effektives Canvassing. Um Streuverluste bei den Hausbesuchen zu minimieren, die freiwilligen Wahlhelfer sich also auf Haushalte konzentrieren können, in denen sie mit ihren politischen Ansichten zumindest auf offene Ohren stoßen, wurden Obamas Wahlkämpfer durch ein Technik-Team unterstützt.
Die Technikabteilung, angeführt von Harper Reed (Eigenen Angaben zufolge steht Harper Reed auf Death Metal. Er trägt was Iro-mäßiges auf dem Kopf und hat geweitete Ohrlöcher, dazu aber auch einen gezwirbelten Schnauzbart und andere Hipsterinsignien: ein eklektisches Tausendsassa) war integraler Bestandteil des Obama-Wahlkampfteams. Zur Verdeutlichung: Normal ist, dass man sich digitale Expertisen einkauft. So hat es Konkurrent Mitt Romney gemacht, so werden es wohl in diesem Jahr auch die deutschen Parteien wieder tun (voraussichtliche Aufstellung der Lead-Agenturen: CDU – Blumberry. SPD – Super J + K. Die Grünen – Zum Goldenen Hirschen).
Die Zusammenarbeit trägt Früchte
Die Ergebnisse der Verzahnung von Wahlkampfstrategen, Daten-Minern, IT-Spezialisten, Ingenieuren und Hackern bestanden in: einem Algorithmus für gezielt geschaltete TV-Werbung. Gamification-Ansätze für die Motivation von freiwilligen Helfern. Dem Zusammenfassen von Datenbanken. Stabilen Wahlkampf-Tools, die es Obamas Team OFA, Organizing for America, leichter gemacht haben, per Microtargeting potentielle Wähler mit den richtigen Inhalten zu erreichen, sei es per Canvassing an der Tür oder per E-Mail-Newsletter. Ein Beispiel:
Trotz der scheinbar unzähligen Volunteers im Wahlkampf sind Zeit und Ressourcen knapp. Wer seine Freiwilligenverbände effizient einsetzen möchte, schickt sie an die Türen der potentiellen Wähler. Aus der Sicht der Demokraten wäre es Ressourcenverschwendung, auf ein überzeugtes Mitglied der Tea Party-Bewegung einzureden. Auch loyale Wähler der eigenen Partei müssen nicht (oder kaum) bearbeitet werden. Aber woher weiß man, welche Bürger ins Töpfchen und welche ins Kröpfchen gehören. Und wie geht man die Wechselwähler an, die wie immer das Zünglein an der Waage sind? In beiden Fällen lautet die Antwort: Man weiß möglichst viel über sie und nutzt die Daten, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten. Mit Irakkriegsveteranen sollte man vielleicht nicht unbedingt über eine strengere Waffengesetzgebung sprechen. Mit katholischen Pro-Life-Bewürwortern nicht über die Abtreibungspolitik Obamas. Der Groschen dürfte gefallen sein.
Der Horror für Datenschützer
Detailwissen – nicht nur über Wählergruppen, sondern zu einzelnen Wählern, ja das Wissen um die unterschiedliche Meinungslage in einzelnen Haushalten – kann ein Wahlkampfteam verdammt effektiv machen. Es handelt sich um eine Effektivität, die von Tools ermöglicht wurde, die wiederum von Harper Reed und seinem Team entwickelt worden sind. Eine Effektivität, die deutsche Politiker träumen lässt – wenn sie sich nicht den Datenschutz auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Ich werde mich in nächster Zeit verstärkt mit den Wahlkampfmethoden in Deutschland auseinandersetzen, ganz besonders mit den Versuchen der Parteien, neue (progressive, amerikanische, whatever) Methoden und Techniken für den Wahlkampf in Deutschland zu adaptieren, sei es die vermehrte Nutzung von sozialen Netzwerken, das Canvassing, der Wahlkampf mit Hilfe von Newslettern und E-Mail-Verteilern oder das Bloggen (Der Kanzlerkandidaten-Peerblog war, wie wir mittlerweile wissen, ein ziemlicher Rohrkrepierer. Aber man sollte niemals aufgeben, Herr Peer.)
Harper Reed ist im April übrigens in Berlin, und zwar auf der Konferenz Next Berlin 2013.