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Schauspieler werden zu Schablonen degradiert, ihre Kunst wird überflüssig. Ihrer statt steuern Animations-Spezialisten detaillierte 3D-Modelle der menschlichen Körpern am Computer, so wie High-Tech-Marionettenspieler. Sieht so die Zukunft von Hollywood aus? Der Film The Congress, der seine Premiere auf den Festspielen in Cannes feierte, zeichnet eine solche Vision.

Allzu unrealistisch ist sie nicht. Immerhin gibt es bereits Projekte wie Virtual Marilyn, auch wenn sie noch sehr künstlich wirken. Was aber wäre, wenn sich das komplette Repertoire eines Schauspielers scannen und dann in allen erdenklichen Variationen aus einer Datenbank ausspielen ließe?

Regisseur Ari Folman, der in Cannes bereits mit dem Animationsfilm Waltz with Bashir vertreten war, erzählt die Geschichte der alternden Schauspielerin Robin Wright (gespielt von Robin Wright), der ein unmoralisches Angebot unterbreitet wird: Sie soll sich in eine gigantische Motion-Capturing-Apparatur einspannen und „samplen“ lassen.

Jeder Schritt, jedes Lächeln und jeder Augenaufschlag wird digital gespeichert und gehört fortan dem fiktiven Hollywood-Studio Miramount, und das für ganze zwanzig Jahre. Selbst spielen darf Wright nicht mehr, weil sie mit ihren Daten auch die Nutzungsrechte an ihrer äußeren Erscheinung „verliehen“ hat. Während ihr digitales Abbild zum Publikumsmagneten avanciert, stürzt die Schauspielerin in eine Identitätskrise.

Technisch wie rechtlich klingt das nach Science Fiction. Es stellt sich die Frage, ob man seine erweiterten Bildrechte, ja das Recht am eigenen Erscheinungsbild, überhaupt derart umfassend veräußern kann. Außerdem sind Schauspieler Künstler, die nicht bloß ihren Körper vor der Kamera bewegen, sondern eine Rolle interpretieren. Und damit scheinbar schwerlich zu ersetzen.

Audrey Hepburn wiederbelebt

Doch bereits vor drei Jahren sagte Avatar-Regisseur James Cameron in einem Interview, es wäre kein Problem, wenn Clint Eastwood einen letzten Dirty Harry drehen und sich das kernige Aussehen von 1975 geben wolle. Filme wie Der seltsame Fall des Benjamin Button haben gezeigt, wie weit Digitalisierung bereits geht. Brad Pitts Wandlung vom jungen Greis zum alten Kleinkind wurde glaubhaft inszeniert, dank Tricktechnik und viel Animations-Handarbeit.

Inzwischen bedarf es nicht einmal mehr lebender Schauspieler. Audrey Hepburn, gestorben 1993, war 2013 Hauptdarsteller in einer aufwändig produzierten Schokoladenwerbung. Sie wurde wieder zum Leben erweckt mit Hilfe einer Doppelgängerin, deren Gesichtszüge und Mimik am Computer angepasst wurden. Autorisiert hatte das ihr Sohn, der anschließend sagte, seine Mutter wäre sicherlich stolz auf ihre posthume Rolle, weil sie Schokolade so sehr geliebt habe.

Viele verstorbene Filmstars „gehören“ dem internationalen Rechte-Verwalter CMG Worldwide. Der könnten mit seinen Rechten ein Vermögen verdienen, sollte Hollywood auf die Idee kommen, einen Film mit Marilyn Monroe und James Dean zu drehen.

Dass Nutzungsrechte einer Person Dritten zur Verfügung gestellt werden, ist juristischer Alltag. „Schon das Dschungelcamp greift im Prinzip massiv in die Persönlichkeitsrechte ein“, sagt Dirk Dünnwald von der Kanzlei Prinz aus Hamburg. „Denn die Protagonisten müssen sich bereit erklären, auch im Schlaf gefilmt zu werden. Das ist dann alles vertraglich geregelt.“

Wer, wie Robin Wright in The Congress, derart weitreichendere Bild- und Persönlichkeitsrechte einräumt, sollte wissen, was er tut. „Konfliktfälle kann es nach heutiger Rechtsprechung nur geben, wenn etwas Ungewolltes passiert. Wenn also das digitale Abbild ohne vorherige Absprache für pornographische Inhalte oder für Drogenszenen benutzt wird.“

Wer seinen Schutz freiwillig aufgibt, den kann man nicht daran hindern. Das gilt nicht nur für Prominente. „Ich würde meinen Klienten einen solchen Vertrag mit einer zwanzigjährigen Laufzeit allerdings nicht anraten“, sagt der Jurist. „Für eine einzelne Produktion könnte man sich das schon eher vorstellen. Es ist ja auch eine künstlerische Herausforderung.“

 

Sven Martin arbeitet bei Pixomondo. Die deutsche Postproduktions- Firma ist etwa verantwortlich für die Spezialeffekte des neuen Star Trek-Films. Martin glaubt, es dauere nicht mehr lange, bis man aus der Konserve Darsteller erzeugen könne. Jetzt allerdings brauche man noch Schauspieler.

„Was wir von einem Schauspieler wollen, die Interpretation, kann man schlecht künstlich erzeugen. Beim Scannen und Motion Capturing geht es eher um die Hülle, die der Schauspieler verkauft. Füllen muss er sie allerdings mit seinem Spiel“, so der Fachmann für visuelle Effekte. „Ein guter Schauspieler kann allein mit seinen Augen eine Stimmung wiedergeben.“ Das könnten animierte Figuren nicht. Noch nicht. Ihre Gesichter wirken auf uns wie bewegte Leichenmasken. Man spricht dann auch vom Uncanny-Valley-Effekt.

Sei dieses Hindernis einmal beseitigt, wäre es nur noch eine Frage der Effizienz, sagt Martin. „Ein Film wie Benjamin Button wirkt deswegen so realistisch, weil eine Menge Handarbeit dahintersteckt. Aber es wäre unsinnig, mehrere Animatoren die Arbeit machen zu lassen, zu der ein einziger Schauspieler alleine im Stande ist. Künstler können zwar manchmal schwierig sein, aber wer weiß: Vielleicht gilt das dann auch für eine Horde Digitalkünstler.“