Die Xbox-Xperience!
Der schwarze Kasten, den Microsoft am Dienstag als Xbox One der Öffentlichkeit vorgestellt hat, gab Rätsel auf. Noch während der Live-Stream lief, fragten sich Hobby- und Berufsexperten: Ist das eine Konsole? Ist das eine TV Setbox? Ist es ein eine große Enttäuschung, oder doch dickes Damentennis?
Die Antwort gab Microsoft dann selbst:
Es ist eine Erfahrung!
Jeder Knopfdruck eine „Experience“.
Ein Erlebnis.
Etwas zutiefst Menschliches.
Will eine große Marke wie Microsoft ein Produkt der Öffentlichkeit vorstellen, wird vorab die Tonalität und damit auch das Vokabular geklärt. Das gehört zum kleinen Marketing-Einmaleins. Reden werden dann geschrieben und darin bestimmte Signalwörter versenkt.
Technik etwa muss superinnovativ sein. Spiele sollten eine Gameplay-Revolution ausrufen. Ein Geschäftsidee wird zur Vision. Denn das Bild von jemandem, der wie Buddha unter einer Pappelfeige sitzt und auf eine Epiphanie wartet, verkauft besser als das vom Businesstypen, der im Großraumbüro an Tabellen herumkalkuliert.
Redner wiederum betonen ihre Begeisterung. Wir sind thrilled, excited und amazed. So war das auch bei der Präsentation der Xbox One. Aufgeregt und stolz seien sie, sagten Microsoft Interactive-Chef Don Mattrick, Andrew Wilson von Electronic Arts oder Activisions Eric Hirshberg unisono.

In sepia durch den Grand Canyon schlauchen: Das ist eine Erfahrung!
Man könne es kaum abwarten, jetzt gleich, hier etwas Unglaubliches zu verkünden, und zwar exklusiv. Wird das subtil eingestreut, funktioniert es vielleicht auch. Wenn nicht, wirkt es manipulativ. Die Dosis macht das Gift.
Und Gift war nicht nur der Content-Schwerpunkt, den die MS XBox One setzte – nämlich TV, TV, TV. Penetrant war auch, rein formal, die hohe Dichte der Vokabel „Erfahrung“. Die „Experiences“ mit der Xbox One seien alle neu. Dazu dynamisch, fantastisch, revolutionär und transformierend. Sie seien kreiert worden und würden bald geliefert. Manche hätten wir nie zuvor gesehen, andere würden ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Kompletter kann man das kaum deklinieren.
Nur: Ist das überhaupt eine Erfahrung (oder ein Erlebnis, je wie man’s übersetzt), wenn man einen Knopf auf einem Controller drückt? Oder wenn man auf dem Sofa sitzt, mit den Armen rumfuchtelt und damit zwischen Skype, einer Sport-Übertragung und einem Mini-Game hin- und herwechselt? Wird es unseren Charakter formen? Werden wir davon unseren Enkeln erzählen? Wird es ein Teil des Films sein, der in unserem Kopfkino läuft, kurz bevor final abtreten? Nein, eher nicht. Würde man diesen Sprache in unser normales Leben übertragen, wäre unser Leben voll mit Experiences. Hund streicheln? Experience. Die Telefonrechnung bezahlen? Experience! Toilettengang? Sowieso.
Natürlich ist der Ansatz auch irgendwie verständlich. Microsoft will kalte Technik in warme Worten einbetten. Das Home-Entertainment-System zum zentralen Nervensystem unserer Freizeitgestaltung erklären, über das unsere Emotionen – und eben Erfahrungen – mit Sprachbefehlen angesteuert werden.
Weil es sich hier um ein Mensch-Maschinen-Interface handelt, weil wir unsere Stimme und Hände einsetzen, um die Xbox One zu steuern, ist es umso logischer, diesen Aspekt auch hervorzuheben.
Aber doch bitte nicht so penetrant!
Über 30 mal in weniger als einer Stunde Redezeit wurde das Schlüsselwort „Experience“ bemüht. Höhepunkt dieser unschönen Erfahrung war der Einspieler mit Roger Goodell, dem Sprecher der NFL, der es schaffte, das Wort in fast jedem seiner Sätze unterzubringen. Soviel zur Subtilität.
Klar: Microsoft ein amerikanisches Unternehmen, und damit auch sprachlich der anpackenden Superlativ-Kultur verpflichtet. Dinge sind nun einmal fantastisch und innovativ, egal wie profan sie sind. Auch Apple macht das so und wurde erst neulich wieder in der Position als wertvollstes Unternehmen der Welt bestätigt.
Und doch hätte man sich gewünscht, ein Redenschreiber hätte die ganze Show noch einmal auf sprachliche Redundanz überprüft. Sie wäre erträglicher gewesen. An dem Umstand, dass es sich nicht um eine Erfahrung handelt, sondern schlichtweg um ein Produkt, hätte das freilich wenig geändert.

Manche Erfahrungen muss man nicht unbedingt machen.