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Drei Berliner fahren in einem Land Rover ein halbes Jahr lang durch Südamerika. Im Gepäck: ihre Firma. Ihr Ziel: Kolumbien. Ihr Auftrag: Die boomende Start-Up-Szene des Halbkontinents porträtieren. Und natürlich Geld verdienen. WIRED Germany begleitet sie in den kommenden Wochen dabei.

Manchmal ist Fabian Dittrich froh, dass es Dinge gibt, die das Internet noch nicht kann. Zum Beispiel Gerüche übertragen. Neulich, an einem besonders heißen Februartag, kurz vor einem wichtigen Meeting, war der Dresscode des Berliners mal wieder alles andere als Business Casual: seit fünf Tagen keine Dusche, Staub und feiner Sand in den Haaren, die Kleidung klebte am Körper — und in einer Viertelstunde sollte ein lukrativer Deal mit einem Online-Kasino aus Reno, Arizona eingetütet werden. Der 33-Jährige saß in einem Internetcafé in Nazca, einem südperuanischen Städtchen das für Jahrtausende alte Scharrbilder berühmt ist, nicht aber für kostenlose WLAN-Hotspots.

Ein improvisiertes Verlängerungskabel verband die Steckdose in der hinteren Ecke des Raumes mit Dittrichs Macbook. Das Kabel hing über den Köpfen der kleinen Jungs, die neben ihm „Counter-Strike“ spielten. Übersteuert plärrte eine Art lateinamerikanischer Reggae aus kleinen Plastik-Boxen. „In diesen Momenten ist es wichtig, ein Headset mit Mute-Button zu haben“, sagt der erfahrene Traveler später. Da war das Geschäft mit den Kasino-Anzugträgern, die am anderen Ende der Skype-Leitung in einem klimatisierten Büro in den USA saßen und sich brüsteten, nicht weniger als den Weg gefunden zu haben, Geld zu drucken, längst abgeschlossen.

Die Anekdote beschreibt ziemlich gut, was den Reiz des digitalen Nomadentums ausmacht, wenigstens auf den ersten Blick. Digitale Nomaden, so nennen sich Menschen, die den beengten Verhältnissen ihrer Bürojobs entfliehen und das Reisen zum zentralen Lebensinhalt machen. Sie ziehen von Ort zu Ort, stellen ihre Zelte und Laptops am liebsten in Südostasien auf, je sonniger und billiger, desto besser. Mit Bloggen, kleinen Freelancejobs oder Programmierarbeiten bestreiten sie ihren Lebensunterhalt, hängen am Strand ab und essen frische Südfrüchte. Ein Traum, möchte man meinen. Im Internet gibt es Plattformen wie das nomadforum, auf denen sie sich austauschen: Wie kann ich ein Startup aufziehen und gleichzeitig 20 Länder bereisen? Falls mein Laptop morgen geklaut wird, wie sichere ich meine Daten in der Cloud? Wie läuft das eigentlich mit den Steuern, wenn man ständig auf Achse ist? Im vergangenen Jahr fand im Berliner Coworking-Space Betahaus zum zweiten mal die DNX statt, eine Konferenz für und über diesen Lifestyle der Travelergeneration. Der Medienandrang war gewaltig.

Aber Fabian Dittrich geht das alles nicht weit genug: „Digitale Nomaden sitzen irgendwo in Thailand am Strand und verdienen mit kleinen Jobs höchstens 2000 Dollar im Monat, und dann haben sie nicht mal genug Geld, um ihre Freiheit ein bisschen zu genießen.“ Deswegen hat er seine Firmahelpando.it nicht hinter sich gelassen, er hat sie stattdessen einfach mitgenommen auf seinen mehrmonatigen Südamerikatrip. Zu dritt fahren sie in „La Poderosa“, einem umgebauten Land Rover, Baujahr 1997, von Buenos Aires gen Norden bis nach Kolumbien. Mit dabei sind Dominic Brasovneau, der Programmierer des Teams, und Vin Tran, der Office-Manager. Team-Meetings und Team-Building-Maßnahmen bräuchten sie nicht, sagt Ditrich. „Wenn wir mehrere Stunden hintereinander im Wagen sitzen, reden wir automatisch über unsere Projekte.“

Die drei bezeichnen sich als Digital Company und wollen das On-The-Road-Arbeiten auf die Spitze treiben: komplett ortsunabhängig, die Laptops in exotischen Landschaften auspacken, und trotzdem jede Deadline einhalten. Bestenfalls. Urlaub sieht jedenfalls anders aus, und Widrigkeiten gehören zum Konzept: Die manchmal erdrückende Nähe. Die tägliche Jagd nach dem Internetzugang. Oder wenn nach einem steilen Anstieg das Kühlwasser des Jeeps kurz vorm Siedepunkt steht. „Man ist mitten in der Wüste, nur Hitze um dich herum, und doch hat das etwas Gutes, denn ich kann in Ruhe arbeiten, schiele nicht die ganze Zeit auf mein Handy und schreibe viel besseren Code“, sagt Dittrich. Für ihn gebe es keine Probleme, nur Herausforderungen. Soll heißen: Wer es hier schafft, schafft es überall. Es klingt ein bisschen wie Frank Sinatra im Elevator Pitch.

Gleichzeitig wollen die drei mit ihren StartupDiaries die boomende Startup-Szene in Lateinamerika porträtieren, sich von anderen Arbeitswelten und Lebensphilosophien inspirieren lassen und nach Gleichgesinnten suchen, die sie in den urbanen Zentren des Kontinents finden; in Buenos Aires und Montevideo, Santiago de Chile und Lima. Auch dort sind die Coworking-Spaces von jungen Menschen bevölkert, die ihre Rechner mit Aufklebern tapezieren. Knapp drei Monaten sind Dittrich, Tran und Brasovneau schon unterwegs. Zeitungen, Radiostationen und Blogs stürzen sich auf die drei Gringos, staatliche Förderprogramme für Startups laden sie in ihre Büros ein. Auch WIRED Germany wird die drei ab sofort wöchentlich auf ihren Weg nach Kolumbien begleiten.

Derzeit macht das Team von helpando.it Station im Stammesgebiet der Shipibo, im Osten von Peru. Zum Arbeiten geht’s ins Internet-Café, das direkt neben dem Haus von Papa Julio liegt, dem Schamanen des Dorfes. „Heute Abend kippen wir uns eine Magic Potion in die Birne und sehen die Welt durchs Kaleidoskop“, sagt Dittrich. „Morgen sitze ich dann wieder irgendwo und handele Deals mit New York, London oder dem Silicon Valley aus.“

Erschienen auf Wired.de