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Wer 2015 Sommerurlaub im Silicon Valley gemacht hat, der hat sie vielleicht bereits gesehen, die selbstfahrenden Knutschkugeln von Google. Vielleicht aber auch nicht. Denn die kleinen Auto-Prototypen sind weder laut noch sonst irgendwie auffällig. Außer natürlich, dass niemand am Steuer sitzt, weil sie gar kein Lenkrad haben. Ansonsten aber sehen sie aus wie iPods auf Rädern und sind auch in etwa so schnell, nämlich 40 Kilometer pro Stunde. Als Gesamtpaket dürften sie für Rennsport-Fans nur schwerlich zu ertragen sein. Das liegt aber weder an der Geschwindigkeitsdrosselung, noch am Karosserie-Design, sondern an dem, was die Fahrzeuge repräsentieren.

Nämlich die Idee des autonomen Gefährts, das durch ein paar Programmzeilen dazu verdammt ist, alle Verkehrsregeln pedantisch einzuhalten. Das ist äußerst zweckdienlich und damit die Antithese von Benzingeruch und Reifenabrieb, von Motorheulen und riskanten Überholmanövern. Aber das muss nicht so bleiben. Denn von Computern gesteuerte Autos können nicht nur unfallfrei fahren, sondern möglicherweise auch bald so gut und schnell, dass sie gegen Rennfahrer antreten und gewinnen. Und vielleicht wird uns das ja so sehr begeistern, dass wir der Formel 1 abschwören und uns der Formel 1.0 zuwenden.

Sie sind zweckdienlich und damit die Antithese von Benzingeruch und Reifenabrieb

Im Oktober 2014 fand am Hockenheimring das Finale der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft statt — und ganz nebenbei ein durchaus bemerkenswertes Ereignis vor dem Hauptprogramm. Auf der Zielgerade der Rennstrecke stand, als Kronzeuge und Werbe-Maskottchen zugleich, der Fußballer Bastian Schweinsteiger und schwenkte eine grüne Fahne. Während „Schweini“ professionell in die Kameras lächelte, beschleunigte in seinem Rücken ein Sportwagen. Am Steuer des Wagens saß jedoch niemand, es war ein selbstfahrendes Auto. Nur hatte dieser Wagen das Potential, im Gegensatz zum pausbäckigen Google-Prototypen, das Blut von Motorsport-Fans in Wallung zu bringen.

„Wir fahren mit unserem System schneller und besser als ambitionierte Sportfahrer“, sagt Klaus Verweyen, der dafür verantwortlich ist, dass der Wagen nicht in die erstbeste Streckenbegrenzung rast. „Weit mehr als 90 Prozent der Normalfahrer besitzen nicht die Fähigkeiten, die wir schon haben.“

Der Mensch hinter dem Steuer – er scheint nur eine Übergangstechnologie zu sein

Verweyen leitet die Vorentwicklung bei Audi. Er bastelt am Auto der Zukunft und stattet Prototypen  mit mehr Computerleistung, mehr Sensoren, mehr Automation aus. Seit 13 Jahren arbeitet man in Ingolstadt an selbst fahrenden Autos, oder an „pilotiertem Fahren“, wie Audi es selbst nennt. Hersteller wie Tesla und Toyota haben ähnliche Projekte. Eigentlich setzt die ganze Branche auf Autos, die keine Fahrer mehr brauchen. Der Mensch hinter dem Steuer — er scheint nur eine Übergangstechnologie zu sein.

Das Auto auf dem Hockenheimring war ein modifizierter RS7, die Konzeptversion eines 560 PS  starken Serienwagens, der beim Händler einen sechststelligen Betrag kostet. Nun sind schnelle Autos auf deutschen Autobahnen kein Problem, sich selbst fahrende aber durchaus, übrigens im Gegensatz zu den USA. Aber die Turbo-Version des RS7 soll keine Autobahn hinab rasen. „Wir loten gerade aus, wie nah ein Auto, dass sich selber steuert und in Echtzeit regelt, an die Grenzen der Rennphysik kommt“, erklärt der Chef-Entwickler Verweyen. Damit ist gemeint: so schnell fahren wie möglich, ohne im Kiesbett zu landen.

In einer Sache sind sich Mensch und Maschine gleich: Wie jeder Profifahrer muss der Computer eine Strecke zuerst kennenlernen, um anschließend eine Ideallinie zu entwickeln. Der RS7 zeichnet die Strecke per Differential GPS auf, eine Runde die linke Streckenbegrenzung, eine Runde die rechte, so dass sich ein Fahr-Korridor bildet, in dem sich das Fahrzeug anschließend bewegt, in dem sich der Computer austoben kann.

Was also den menschlichen Rennfahrer noch besser macht, ist seine kalkulierte Lebensmüdigkeit

Denn Autorennen — und damit sind nicht die gemeingefährlichen Proleten-Paraden auf dem Kölner Ring gemeint – sind höhere Mathematik. Welcher Normal-Autofahrer kennt schon die Schwerpunktlage seines Golfs oder weiß um das Zusammenspiel von Motorleistung und Bremsperformance, das sich in einer Formel ausdrücken lässt? Und wer kann dieses Wissen anwenden, während mit 200 Sachen der Bremspunkt vor einer engen Kurve angefahren wird? Eben. Unsereins rechnet da nicht, sondern bremst nur. Deswegen müssten Computer eigentlich die besten Rennfahrer sein. Sind sie aber nicht. Noch nicht.

„Ein Mensch nutzt die Strecke noch ein bisschen besser aus“, erklärt Klaus Verweyen. „Versierte Fahrer wissen genau, wo sich die Reibung auf der Strecke unterscheidet. Und wenn sie eine Strecke gut kennen, fahren sie an manchen Stellen so schnell, dass das Fahrzeug ganz leicht instabil wird, sie es aber gerade eben noch beherrschen.“ Was also den menschlichen Rennfahrer noch besser macht, ist seine kalkulierte Lebensmüdigkeit.

Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis der Computer auch Rennprofis einholt und bessere Rundenzeiten fährt als einen Formel-1-Weltmeister. Vielleicht sind es noch zehn Jahre, vielleicht nur noch drei. Derweil halten sich die Entwicklungsabteilungen und vor allem die Marketing-Strategen der Autohersteller zurück mit allen Rekordversuchen. Sie bereiten die Produktpalette der Zukunft vor, das ist ein Milliardengeschäft. Und wer sein Leben und das Leben seiner Kinder einem selbstfahrenden Auto anvertraut, möchte nicht Bilder vom einem automatisierten Boliden vor Augen haben, der bei einem Rekordversuch in einem Feuerball an einer Betonmauer zerschellt.

Und schnellere Rundenzeiten sind eine Sache. Ein richtiges Rennen zu fahren, gegen viele konkurrierende Fahrer, die einen gemein ausbremsen und trotzdem einem gewissen Kodex folgen, um das Leben anderer nicht willentlich aufs Spiel zu setzen, eine ganz andere. „Die Vorgänge in einem Rennfahrergehirn sind sehr komplex. Er muss nicht nur alleine auf der Strecke seine schnellste Runde fahren, wie im Zeittraining, sondern ist mit dem Verhalten anderer Rennfahrer um sich herum konfrontiert“, so Klaus Verheyen. Verheyen sieht da noch jede Menge Entwicklungsbedarf.

Wenn Computer sich dann wirklich einmal anschicken, den schnellsten Menschen der Welt herauszufordern, so wie einst der Rechner Deep Blue den Schachweltmeister Garri Kasparow, und der Kampf Mensch gegen Maschine wieder mit einer Niederlage für unsere Spezies endet — läuft dann alles auf eine automatisierte Formel 1 hinaus, in der Algorithmus gegen Algorithmus antritt? Unwahrscheinlich. Es fehlt nämlich eine Komponente, die im normalen Straßenverkehr immer mehr in den Hintergrund rücken wird: der Mensch und sein Wille, sich selbst in Gefahr zu begeben, den wir bewundern und um den wir uns sorgen machen. Ein Computer-Crash hingegen ist nicht mehr als ein Blechschaden.