Zum Inhalt springen

Zwischen den Fronten

Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle hat einen schwierigen Stand. Für die einen ist sie ein Spielverderber. Für die anderen macht sie mit der Industrie gemeinsame Sache. Ich war in Berlin, um zu sehen, was sie wirklich macht.

„Vor dem Hintergrund spezieller Spruchpraxis, Kontextberücksichtigung und Gesamtwirkung vergeben wir ein Kennzeichen“, sagt Jürgen Hilse und klingt dabei, als zitiere er einen Gesetzestext. Das ist kein Zufall, denn Hilse ist hier der Staat – oder zumindest ein halber. Der 61-Jährige ist einer von zwei ständigen Vertretern der Obersten Landesjugendbehörden bei der USK, der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle in Berlin. Er vertritt die staatlichen Jugendschutzinteressen, wenn das Gremium der USK Empfehlungen ausspricht, ob ein Videospiel Kindern, Jugendlichen oder nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden sollte – und welches keine Kennzeichnung erhält. Was bedeutet, dass es zwar verkauft werden darf, seine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien aber sehr wahrscheinlich ist.

Willkommen auf dem Kriegsschauplatz USK

Mit dieser Praxis stehen Jürgen Hilse und die USK im Kreuzfeuer der Kritik: Für die Spieler ist die USK eine Zensurbehörde, die mit deutscher Akribie den Spaß aus ihren Spielen streicht. Für die Hersteller ist sie ein notwendiges Übel. Und für notorische Videospielgegner ist sie ein zahnloser Tiger, der gemeinsame Sache mit der Industrie macht und gefährliche Software auf den Markt lässt.

Dabei besitzt Deutschland das weltweit strengste Prüfverfahren, um Jugendschutz zu gewährleisten – zumindest so weit der Arm des Staates reicht. Wenn der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl (CSU) also fragt, warum „extrem gewaltgeneigte Spiele in der Praxis nur mit einer Altersbeschränkung versehen und nicht gänzlich indiziert“ werden, wünscht er sich nicht nur eine Ausweitung der staatlichen Kompetenzen und fordert mehr Zensur – er beschreibt ungewollt den Kern des Problems: Es gibt keine Definition, was „gewaltgeneigte“ oder „gewalthaltige“ Spiele eigentlich sind.

Der Terminus „Killerspiel“ ist kein wissenschaftlicher, sondern ein politischer. Zwar bezeichnet der bayrische Entwurf für ein neues Jugendschutzgesetz „Killerspiele“ als „Spielprogramme, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen darstellen und dem Spieler die Beteiligung an dargestellten Gewalttätigkeiten solcher Art ermöglichen“ – aber wann genau eine Darstellung dem entspricht ist, wird nicht ausgeführt. Willkommen also auf dem eigenen Kriegsschauplatz der USK. Etwa 3000 Spiele wurden im vergangenen Jahr abgenommen, seit ihrer Gründung 1994 kommt sie auf 23 000 Prüfungen. Waren ihre Alterskennzeichen in den ersten Jahren nur Empfehlungen, sind sie seit 2003 für den Handel verpflichtend.

Die USK bereitet nur vor

Das sind die Fakten – wie aber die Praxis des Jugendschutzes aussieht, wissen wenige. Oder sie glauben nur, es zu wissen: „Viele Leute denken, die USK mache irgendwelche Freigaben“, sagt Hilse, „aber das macht sie nicht!“ Er kennt die Vorurteile und Vorverurteilungen, seine Geduld wirkt strapaziert. Denn ab welchem Alter ein Spiel freigegeben wird, entscheiden allein die staatlichen Vertreter, also Jürgen Hilse und Lidia Grashof. Die USK bereitet die Prüfung lediglich vor. Dabei kann sie auf 53 Gutachter zurückgreifen, auf Sozialpädagogen und Abgesandte der Kirchen, auf Journalisten oder Mitarbeiter der Jugendämter. Auf Spezialisten in Sachen Jugendschutz mit Grundkenntnissen in Videospielen.

Immer vier aus dieser Riege werden für die Gremiumssitzungen der USK in einen kleinen, mit Bildschirmen und Konsolen vollgestopften Prüfungsraum nach Berlin-Friedrichshain gerufen. Auf das, was dann passiert, haben die Hersteller der Spiele keinen Einfluss. Sie finanzieren zwar den Prüfbetrieb, aber ansonsten sind sie, wie auch die Kirchen und diverse soziale Einrichtungen, nur mit zwei Vertretern in dem 16-köpfigen Beirat vertreten, der die Prüfgrundsätze festsetzt.

In anderen Ländern hat sie weitaus mehr zu sagen: Die PEGI, das resteuropäische Pendant zur USK, kennt keine Entscheidungen plural besetzter Gremien. Hier schätzen die Publisher in einem Fragebogen selbst die Jugendgefährdung des eigenen Produkts ein. Diese Vorgehensweise kann Lidia Grashof nicht nachvollziehen: „Atmosphäre, Spannung und Immersion sind für eine Bewertung relevant. Ich kann sie aber nicht über einen Fragebogen herausfinden.“

Die 44-Jährige überwacht erst seit Juli 2008 den Prüfungsprozess, hat sich mit dessen Feinheiten aber schon vertraut gemacht: „In Experimenten haben wir Spiele ohne Ton gespielt. Es kommt vor, dass zwar auf der optischen Ebene ein 6er-Rating fällig wäre, aber aufgrund der Bedrohungssituation durch Explosionen und das Schreien der Spielfiguren aus der 6 eine 12 wird – nur weil die Soundkulisse so drastisch ist.“

Spritzendes Blut ist nicht gleich spritzendes Blut. Mal klatscht es auf den Boden und spritzt an die Wand, mal löst es sich in der Luft auf

Alle Prüfungen werden akribisch vorbereitet. Dafür beschäftigt die USK fünf ehrenamtliche Spielesichter, darunter Benjamin Rostalski. Er spielt jedes Spiel komplett durch, macht sich Notizen, legt Spielstände an und präsentiert seine Ergebnisse dann dem Gremium. Bis zu vier Spiele testet er pro Woche, mit zunehmender Erfahrung auch schwierige Fälle. „Was jugendschutzrelevant ist, erschließt sich einem erst mit der Zeit“, sagt der 28-jährige Politikstudent, „wir haben zur Orientierung aber die ‚Sichterbibel‘. Das ist ein riesiges Dokument, in dem steht, worauf wir zu achten haben.“ So ist spritzendes Blut nicht gleich spritzendes Blut. „Mal klatscht es auf den Boden und spritzt an die Wand, mal löst es sich schon in der Luft auf“, sagt Rostalski.

Die Gutachter wollen später wissen, ob man auf bereits eliminierte Gegner schießen kann, ob sie noch zucken und ob unbeteiligte Figuren in einen Kampf einbezogen werden können. Kann sich ein Spieler – wie im Rollenspiel „Fable 2“ – zwischen Heldentum und Schurkendasein entscheiden, ist der Tester angehalten, die böseste Option zu wählen. Er soll das Übel aus dem Spiel herauskitzeln und es in Einzelteile zerlegen.

Wo der Spaß aufhört

Marek Klingelstein, 33, überwacht als Leiter des Testbereichs die Demontage der Illusionen. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Kommunikation mit den Herstellern. „Deren Angst ist natürlich groß, dass sich ein Multi-Millionen-Dollar-Projekt auf den letzten Metern die Beine bricht“, sagt Klingelstein, „deswegen legen sie alles offen. So etwas wie ‚Hot Coffee‘ wird es nicht mehr geben.“

Vor drei Jahren hatten die Programmierer im Quellcode des Games „GTA: San Andreas“ ein kleines Sex-Spielchen versteckt, das mit einer online verfügbaren Software-Modifikation freigeschaltet werden konnte. Obwohl es sich um eine eher harmlose Anzüglichkeit handelte, wurde das Spiel in Australien und den USA aus dem Handel genommen und musste durch eine entschärfte Version ersetzt werden. In Deutschland löste die dort hitzig geführte Debatte Heiterkeit aus.

Doch was hier belächelt wird, ist anderswo ein Ärgernis – und umgekehrt: Der Verkauf des Egoshooters „Call Of Duty: World At War“ ist hierzulande nur an Volljährige gestattet, obwohl das Spiel bereits für den deutschen Markt modifiziert wurde. In den USA erhielt es ungeschnitten die Freigabe ab 17 Jahre, in Großbritannien sogar ab 15 Jahre. „Spiele wie ‚Dead Rising‘, in denen Zombies mit Sonnenschirmen und Einkaufswagen umgemäht werden, laufen in England unter Humor. Bei uns sind sie verboten“, sagt der dreifache Vater Klingelstein.

Spieler wollen glaubwürdige Szenarien

Tatsächlich zeigen sich Hilse und Grashof bei der Festlegung von Bewertungskriterien eher humorlos. Ein künstlerisch ambitioniertes Spiel wie „Mad World“, das comichafte Gewalt in stilisierter Schwarzweiß-Grafik zeigt, würde genauso behandelt werden wie „Brothers in Arms 3“, dessen Bilder von Gefechten überaus realistisch wirken. Mildernde Umstände erhalten allenfalls Spiele, bei denen Gewalt genrebedingt unumgänglich ist:

„Spieler wollen glaubwürdige Szenarien. Spielen sie ein Entchenspiel, wollen sie keine Zombie-Entchen, sondern echte Entchen“, sagt Christine Schulz, die Leiterin der USK, „in einer Zombiewelt hingegen sollen sich Zombies auch wie Zombies benehmen.“ Die Gremien der USK können Entscheidungen zwar nur in einem rechtlich eng abgesteckten Rahmen treffen, haben aber durchaus Spielraum bei der Bewertung. Beim Töten von menschlichen oder menschenähnlichen Spielfiguren und beim Abtrennen von Gliedmaßen hört der Spaß allerdings auf.

Realistische und unrealistische Gewalt

Nur weil im Horror-Shooter „Dead Space“ bloß Aliens und keinen Humanoiden die Arme und Beine weggeschossen werden, bekam das Spiel überhaupt eine Kennzeichnung, natürlich ab 18 Jahre. Und das auch erst nach zweimaligem Einspruch von Publisher Electronic Arts. Das ist, was Jürgen Hilse mit „Spruchpraxis“ meint: die Anwendung der Bewertungskriterien unter Berücksichtigung individueller Gegebenheiten. „Wenn Spiele in sehr fiktiven Genres wie Horror oder Science-Fiction angesiedelt sind“, sagt er, „bewerten wir auch, ob es Distanzierungselemente gibt, die so stark sind, dass ein Kriterium abgeschwächt oder aufgehoben wer- den könnte.“ Die Staatsvertreter trauen erwachsenen Spielern also zu, Gewalt in unrealistischen Szenarien als unrealistisch zu erkennen.

Damit Spiele nicht in zu junge Hände geraten, trägt jedes Spiel eine USK-Kennzeichnung. Rot auf dem Cover signalisiert: Vorsicht! Erst ab 18, keine Jugend- freigabe gemäß Paragraf 14 Jugendschutzgesetz. Das blaue Siegel zeigt die Eignung für Jugendliche ab 16 Jahre an. Spiele mit grünem Siegel können 12-Jährigen unbedenklich in die Hand gegeben werden und solche mit gelber Plakette sogar 6-Jährigen – insofern man diese überhaupt schon spielen lassen möchte. Und das entscheidet nicht die USK. Denn die Befugnis des Staates endet an der Wohnungstür. Zwar kennen laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest mehr als 80 Prozent der Jugendlichen die USK-Siegel – ihre Eltern jedoch, so das Hamburger Hans-Bredow-Institut, haben die Kennzeichen früher kaum wahrgenommen.

Auf die Größe kommt es an

Das war ein Grund, die Altershinweise auf den Produktverpackungen vergrößern zu lassen. Viele Spieler waren zwar empört, dass die zweckdienlich gestalteten Siegel nun ihre Spielecover verschandeln, diesen Einwand jedoch wollen die Ständigen Vertreter bei der USK nicht gelten lassen: „Erst seitdem die Siegel so groß sind, wird vermehrt darüber diskutiert“, sagt Grashof, „es gibt eine große Zahl von Erwachsenen, die verstärkt darauf achten, allein weil sie nun größer sind.“ Und, fügt sie hinzu: „Die Leute werden sich daran gewöhnen.“

Trotzdem werden auch 12-Jährige weiterhin Egoshooter spielen. Den Stoff bekommen sie von Freunden, älteren Brüdern, von Einzelhändlern und ihren Erziehungsberechtigten. „Einige Eltern sind so stolz auf ihre Kinder, dass sie denken, sie bräuchten den komischen Jugendschutz nicht“, sagt Christine Schulz, „aber wenn ich mir vorstelle, dass 10-Jährige ‚Call Of Duty 5‘ spielen, wird mir schlecht.“

Doch mehr als informieren kann die USK nicht: Broschüren werden für Elternabende gratis ver- schickt, in ihrer Online-Datenbank ist jedes in Deutschland erschienene Spiel samt Kennzeichnung aufgeführt. „Wir können nur rufen ‚Achtet auf die Kennzeichen‘“, sagt die USK-Chefin. „Es ist allerdings frustrierend, wenn man weiß, dass man eine gewisse Kommunikation nicht hinkriegt.“ Kommunikation – darum dreht sich alles. Und um Wissen.

Vor allem daran scheint es auch in der Debatte über die Arbeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle zu fehlen. Verlangt die Politik mehr Staat, verkennt sie, dass die USK die gesetzlich getroffenen Regelungen bereits mithilfe von Staatsvertretern umsetzt. Wird kritisiert, dass von der USK verabschiedete Kennzeichnungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nicht mehr aufgehoben werden können, wird nicht beachtet, dass beide Prüfstellen bereits Hand in Hand arbeiten.

Bei Gegnern wie dem Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, munkeln nicht nur Spieler, er wolle ihre Aufgaben und die damit verbundenen Fördergelder und Prüfungsgebühren selbst übernehmen. Dieser Streit wird 2009 zweifellos mit unverminderter Schärfe fortgeführt werden. Und die USK wird wieder mittendrin stehen.

Erschienen im GEE Magazin, März 2009