Im Januar erscheint die filmische Biographie der lebenden Legende Lemmy Kilmister. Sie zeigt den Sänger und Bassist von Motörhead von seiner leisen Seite. Und die ist ebenso einnehmend wie die Musik der lautesten Band der Welt
„Wenn die Welt untergeht, gibt es nur zwei Dinge, die überleben werden: Kakerlaken und Lemmy“, krakeelen zwei aufgekratzte Mittvierziger in breitem Gossenenglisch in die Kamera. Sie sehen aus, als seien sie gerade von ihren Harleys gestiegen, als liebten sie nur drei Dinge: ihre Freiheit, große Brüste und die Musik von Motörhead. So beginnt der Film „Lemmy“: mit den Fans. Es sind Lederrocker und Kuttenträger, aber auch die Götter des Rock-Olymps selbst, die in die große Lobhudelei mit einstimmen.
Der Typ, der angeblich mit 1000 Frauen geschlafen hat
Denn der Engländer Lemmy Kilmister war für viele der Wegweiser in den Rock und Heavy Metal. Lemmy Kilmister, Frontmann und Bassist von Motörhead. Sie wissen schon, der Typ mit den Warzen im Gesicht (eigentlich sind es Leberflecken). Der Typ, der mit seinem Wehrmachtsrocker-Outfit frisch aus einer Comicversion von „Vaterland“ zu kommen scheint. Der Typ, der angeblich mit 1000 Frauen geschlafen hat.
Abwechselnd huldigen ihm Alice Cooper, Steve Vai, Ozzy Osbourne, Dave Grohl (Nirvana, Foo Fighters), die komplette Besetzung von Metallica, Slash, der Schauspieler Billy Bob Thornton, Henry Rollins, aber auch Rapper wie Ice T. Sie selbst sind die Götter ihres Fachs, aber Lemmy ist ihr Gottvater, der Zeus des Heavy Metal. Und je länger der Film dauert, desto mehr versteht man, wie er zu seinem göttlichen Status kam – während Lemmy selbst behauptet, er sei schon zu alt, um Gott noch zu finden.
Sein Leben war tatsächlich nicht gerade von christlicher Enthaltsamkeit geprägt. Begeistert erzählt ein Mitglied der Band Alice in Chains, wie Lemmy ihm und dem Rest der Grungerock-Band einst Whiskey angeboten hätte, natürlich Jack Daniels, Black Label, seine Standardmarke. Und dass Lemmy, während die Flasche herumging, eine weitere hervorzauberte, für sich selbst. „Er trinkt Whiskey wie andere Leute Bier“, heißt es dort und immer wieder. Der lakonische Kommentar des Altrockers dazu: „Das Geheimnis zum Überleben besteht darin, nicht zu sterben.“
Doch der Film ist weit davon entfernt, sich in einer Ansammlung schrulliger Lach- und Saufgeschichten zu erschöpfen. Stattdessen ist „Lemmy – The Movie“ ehrlich und sentimental. Er berichtet vom Bluthochdruck des Säufers, der trotzdem immer klar bleibt. Er zeigt das innige Verhältnis zu seinem erwachsenen Sohn, der mit sechs Jahren auf ihn zukam und sagte: „Meine Mama sagt, du bist mein Daddy!“
Er erzählt Lemmys Rausschmiss aus der Band Hawkwind – man war auf unterschiedlichen Vibes, weil auf unterschiedlichen Drogen. Und mit denen ließ sich Lemmy dann auch noch an der Grenze erwischen. Dabei kommen alle zu Wort, und der Rockvater selbst gibt sich selbstkritisch und ehrlich, aber mit sich und der Welt im Reinen.
Glaubwürdiger als jede Kunstfigur
Wahrscheinlich ist es genau das, was Lemmy Kilmister zu dieser charismatischen Persönlichkeit macht: Er bereut nichts, er ist erst einmal für alles und jeden offen. Es ist, was auch alle Menschen erzählen, die ihn jemals getroffen haben: ein unglaublich witziger und netter Typ. Einer, der auch mit 65 noch richtig Party machen kann, der aber auch zuhört.
Vor allem aber ist er glaubwürdiger als jede Kunstfigur. Einer, der Nazi-Kitsch sammelt, aber alles andere als ein Nazi ist. Einer, der den Klischees entspricht, weil er die Klischees mit geprägt hat. Das macht den Film sehenswert. „Lemmy – The Movie“ bringt uns Lemmy, den Menschen, und seine Musik sehr nahe. Und das ist auch für Zuschauer ohne Heavy Metal-Sozialisation eine große Bereicherung.
Erschienen auf brash.de