Schnips. Schnips. Schnips. Während Lokalmatadorin Nosipho Gumede aus Johannesburg ihr Gedicht vorträgt, sind die Hände ihrer Zuschauer im Theater der Witwatersrand Universität in ständiger Bewegung. Bei einem Poetry Slam schnipst das Publikum nämlich mit den Fingern. Es ist ein Zeichen unmittelbarer Zustimmung, wenn die Dinge, die auf der Bühne gesagt werden, so gut oder wahr sind, dass sie nicht unkommentiert bleiben können. Und weil Applaus den Vortrag stören würde, fallen die Ovationen etwas leiser aus. Das Gedicht der 20jährigen, die Ingenieurswissenschaften an Südafrikas zweitgrößter Uni studiert, bewegt ihre Zuhörer jedenfalls hörbar. „We just pull up our panties and walk“, so lautet eine refrainartig wiederkehrende Strophe, wir ziehen unsere Höschen an und gehen davon.
Nosipho Gumedes Gedicht handelt von der „New Age Polygamie“. So bezeichnet es ein anderer Teilnehmer des Poetry Slams, der Teil einer größeren Veranstaltung ist, dem „SexActually Festival„, das bis zum 1. September in Johannesburg stattfindet und unter anderem von der GIZ und von Goethe-Institut mitfinanziert wird. Sex ist hier ein brisantes Thema, denn der stete, unbedarfte Wechsel von Sexualpartnern führt zu einer hohen Verbreitung von HIV-Infizierten in Südafrika. Und die Verkettung von Promiskuität und AIDS wird gerne totgeschwiegen, wortwörtlich.
In ihrem Gedicht macht Gumede auch die Elterngeneration dafür verantwortlich, weil sie ihren Kindern das Totschweigen vorlebt. Ein Blick auf die AIDS-Statistiken des Landes zeigt, wie verheerend das ist. Es wird angenommen, dass 16,9 Prozent aller Südafrikaner zwischen 15 und 49 Jahren den Virus in sich tragen. Am höchsten ist die Verbreitung in der Provinz KwaZulu-Natal. Dort kommt auch der jetzige Präsident Jacob Zuma her. Der soll gesagt haben, eine heiße Dusche verhindere eine Ansteckung. Aber selbst auf dem Uni-Campus ist die Rate der Infizierten hoch. AIDS ist also nicht nur ein soziales Problem der bildungsfernen Schichten.
„Es ist ein altes Thema in Südafrika, und manche Leute sind vielleicht müde, es zu hören“, sagt Noshipo Gumede, „aber durch Poesie wird es neu verpackt und zwingt die Menschen zum Zuhören.“ Mit Poesie und Theater wollen die größtenteils afrikanischen Studenten gegen die Probleme ihres Kontinents vorgehen. Wie sie das machen, können sie in einem einjährigen Postgraduiertenstudiengang lernen, der „Drama For Life“ heißt. Jedes Jahr machen 16 Studenten aus neun verschiedenen Ländern ihren Abschluss in Afrikas erstem Programm dieser Art.
„Der Studiengang ist interdisziplinär und will mit Hilfe von Kunst und Theater aktuelle Probleme innerhalb Afrikas vermitteln“, erklärt Eliana Schüler. Die 22-Jährige war vor drei Jahren Freiwillige beim entwicklungspolitischen Dienst „Weltwärts“ in Johannesburg. Nun studiert sie in Wien Kultur- und Sozialanthropologie. Aber seit sie bei der Organisation des damaligen „Drama For Life“ mitgeholfen hat, kehrt sie jedes Jahr nach Südafrika zurück. „Ich verbringe hier meine Semesterferien“, sagt sie und strahlt. Eliana arbeitet inzwischen als Assistentin der Festivaldirektorin. Ständig sieht man sie durch die Lobby des Theaters laufen, mit Menschen sprechen, Schultern klopfen, delegieren – was man eben so macht als Organisatorin.
Die 64 bisherigen „Drama For Life“-Absolventen arbeiten inzwischen auf dem halben Kontinent an Theaterprojekten. Nicht immer geht es um AIDS. Ein Teilnehmer aus Ruanda etwa will mit Schauspiel zur Traumabewältigung in seinem Land beitragen, wo 1994 bei einem Genozid über 800.000 Menschen ums Leben kamen. „Das Festival ist die Begegnungsstätte des Studiengangs“, so Schüler, „man trifft sich, nimmt an Workshops teil und präsentiert seine eigene Arbeit.“
Trotz der ernsten Lage ist die Herangehensweise an das Thema Sexualität unverklemmt und locker. Es ist ein toleranter Mikrokosmos, auf den man hier trifft, wo schwule und lesbische Pärchen offen miteinander turteln und junge Frauen nicht belästigt werden. Das ist nicht selbstverständlich. Schwulenfeindlichkeit ist in Südafrika an der Tagesordnung. Zudem hört man immer wieder sogenannten „corrective rapes“, bei denen lesbische Frauen „geheilt“ werden sollen, indem sie von mehreren Männern hintereinander vergewaltigt werden. Dabei ist die absolute Gleichheit aller Bevölkerungsgruppen und sexuellen Orientierungen ein Pfeiler der südafrikanischen Verfassung, die als liberalste und modernste der Welt gilt. Aber auch Deutschland debattiert ja gerade wieder die Gleichstellung homosexueller Paare. In letzter Konsequenz sind wir also nicht viel weiter.