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Kein Unterschied zwischen real und virtuell

Es ist eine gewagte These: Virtuelle Welten würden die Menschen besser machen und können die Welt retten. Das sagt jedenfalls Hilmar Veigar Pétursson im Interview. Dessen Unternehmen CCP betreibt die Weltraumsimulation „Eve Online“. 

Bild: community.eveonline.com

ZEIT ONLINE: Herr Pétursson, Sie sind Geschäftsführer von CCP, dem Unternehmen hinter dem riesigen Weltraum-Rollenspiel Eve Online, das sie mitentwickelt haben. Auf der Quo-Vadis-Konferenz diese Woche in Berlin haben Sie gesagt, man müsse den selbstzerstörerischen Konsumwunsch des Menschen in virtuelle Welten auslagern. Wie stellen Sie sich das vor?

Hilmar Veigar Pétursson: Würde jeder so leben wie Sie und ich, wir würden sechs Erden brauchen, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen. Die Rechnung ist einfach: Entweder weniger Menschen oder mehr Erden – oder, so wie jetzt, soziale Ungerechtigkeit. Was wäre, wenn man eine neue Erde als virtuelle Welt erschaffen würde? Es wäre eine Welt, in der wir Dinge erleben, die auf der Erde unmöglich oder kaum zu bezahlen wären. Würde man sie real genug gestalten, dann wären sie auch ebenso bedeutsam.

ZEIT ONLINE: Sie glauben, durch ein Onlinegame wie Eve Online die Welt verbessern zu können?

Pétursson: Das mag auf den ersten Blick nicht unbedingt einleuchten, dass ausgerechnet ein Computerspiel die Welt verbessern kann. Aber ich bin überzeugt, das es genauso ist.

ZEIT ONLINE: Mir fallen jede Menge Leute ein, die Ihnen widersprechen würden.

Pétursson: Ich habe viele Menschen getroffen, die mit Eve Online ihre Persönlichkeit ausgelotet haben, mit Grenzerfahrungen, die sich nur schwerlich in der Realität machen lassen. Realität bedeutet ja immer auch Sicherheitsdenken und Beständigkeit, und Scheitern kann in der Realität schmerzhaft sein, sogar tödlich. In einem Computerspiel bedroht Scheitern nicht die eigene Existenz. Es gibt dokumentierte Fälle von Führungspersönlichkeiten, die sich zuerst im Spiel als CEO einer Corporation ausprobiert haben, so heißen bei uns die Spieler-Vereinigungen, und es danach auch im „Real Life“ geschafft haben, erfolgreich eine Firma zu leiten.

ZEIT ONLINE: Reicht es nicht, sich als Kapitän einer Hobby-Fußballmannschaft zu engagieren?

Pétursson: Fußball erlaubt es einem nicht, zehntausende Menschen in eine gigantische Schlacht zu führen, in der es um nichts Geringeres als die Weltherrschaft geht. Eine solche Schlacht fand im Januar statt, es wurden Raumschiffe im Wert von 300.000 Dollar zerstört. Was ich sagen will: Es braucht erstaunliche Führungsqualitäten, um so viele Menschen zusammenzutrommeln und auf Kurs zu bringen, um etwas derart Großes zu erreichen.

ZEIT ONLINE: Aber ein Sportteam ist real und die Welt von Eve Online virtuell.

Pétursson: Aus meiner Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen real und virtuell. Während meiner Elternzeit, das war im September 2003, habe ich testweise unser Spiel gespielt und mit einem Freund die Raumschiffe getauscht. Ich war also in gewisser Weise für seinen Besitz verantwortlich. Ich musste kurz aufs Klo und stellte sein Schiff auf Autopilot. Als ich wiederkam, war das Schiff zerstört worden. Ich hätte einfach ein neues Schiff machen können, aus dem Nichts, schließlich habe ich Eve Online erschaffen. Aber es hat sich in dem Moment falsch angefühlt. Im Endeffekt habe ich stundenlang Rohstoffe für ein neues Raumschiff abgebaut.

ZEIT ONLINE: Kommt Ihnen das heute dämlich vor?

Pétursson: Nein, denn ich habe auf eine fundamentale Weise verstanden, wie real Aktionen in dem Spiel sind. Hinter jedem einzelnen Gegenstand, der produziert wird, kann ein enormer Arbeitsaufwand stecken. Und hinter jedem Avatar verbirgt sich ein Mensch. Deswegen sind auch die sozialen Sanktionen so real. Wer sich nicht zivil verhält, wird bestraft.

ZEIT ONLINE: Entschuldigung, ist Ihr Spiel nicht auch dafür bekannt, dass sich kriegshungrige Weltraumkapitalisten in Gemeinheiten übertrumpfen?

Pétursson: Absolut. Aber das ist nicht der Alltag. Erst wenn mal etwas passiert, wird es zur Nachricht. Das ist im analogen Leben ja auch so. Eve-Online-Spieler haben einen gewissen Ruf, aber wenn man sie persönlich trifft, sind es die nettesten Menschen der Welt.

ZEIT ONLINE: Wie kann eine virtuelle Welt meine Bedürfnisse befriedigen? Es macht doch einen Unterschieds, ob ich mir ein paar neue Sneakers kaufe, oder ein neues Auto – oder ein neues virtuelles Raumschiff.

Pétursson: Oft wollen wir Dinge besitzen, nicht weil sie nützlich sind, sondern schön oder selten oder teuer. Ein Porsche zum Beispiel ist ein emotionales Erlebnis. Wie der Wagen in der Kurve liegt, oder wie der Motor aufheult. Dieses Gefühl können wir in Computerspielen reproduzieren.

ZEIT ONLINE: Kann ein virtuelles Raumschiff den selben Wert haben wie ein Porsche?

Pétursson: Wie gesagt, es gibt eine Faustregel in Eve Online: Die Herstellung von Gegenstände im Spiel ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Ein Titan, das derzeit größte Raumschiff, kann nur durch die langwierige, koordinierte Arbeit tausender Menschen hergestellt werden. Dadurch erhält es einen großen Wert, ähnlich wie ein Porsche. Das ist, was Eve Online für viele Spieler so real macht.

ZEIT ONLINE: Glauben Sie, Virtual-Reality-Devices wie die Oculus-Rift-Brille können diese Realitätserfahrung noch verstärken?

Pétursson: Wer eine Virtual-Reality-Brille ausprobiert, spürt sofort: „Ich bin hier“. Eve Online gibt einem ebenfalls das Gefühl, sich an einem tatsächlichen Ort zu befinden. Doch es dauert länger, denn unser Spiel ist sehr abstrakt. Virtual Reality dagegen ist verdammt intuitiv. Der Körper erhält über die Sinnensorgane eindeutige Signale. War es bislang ein Akt des Glaubens, eine virtuelle Welt als real zu akzeptieren, so können wir uns bald auf unsere Wahrnehmung verlassen.

Erschienen auf Zeit Online