Das Konsolen-Musikspiel „Beatles Rock Band“ soll den Hype um die Fab Four ins 21. Jahrhundert herüber retten. Erstmals gibt es die Songs der Beatles in digitaler Darreichungsform und könnte auf diese Weise zwei Generationen und deren Fetische miteinander verbinden.
Karaoke wie im kalten Krieg
„Singen wie die Beatles“ ist ein Hit im Nobistor 10. Direkt an der Hamburger Reeperbahn ist auf fünf Stockwerken Beatlemania untergebracht, die deutsche Filiale des Beatles-Kults. Man ist stolz darauf, dass die Karriere der vier Liverpooler Anfang der 60er auf diesem Kiez erst richtig angekurbelt wurde. Die Songs der Fab Four scheppern aus den Boxen am Eingang des Ausstellungsgebäudes auf den Gehweg. Drinnen laden einen die in die Decke eingelassenen Lautsprecher mit Ohrwürmern auf, während man Original-Postkarten an George Harrisons Oma, Original-Streichholzschachteln oder Original-Plattenverträge von anno 1961 bestaunt. In der vierten Etage, in einer Ecke des Abbey Road-Raumes, steht eine kantigen Karaoke-Station mit dem Charme einer U-Boot-Steuerkonsole aus dem kalten Krieg. Hier können die Ohrwürmer dann wieder rausgelassen werden.
Leider stehen nur eine handvoll Lieder zur Auswahl, etwa „Yellow Submarine“ oder „Yesterday“. Vier bärtige Käferwesen, die auf ihren Hinterbeinen laufen, leiten uns an, lassen uns einen Song auswählen und dann singen. Immerhin zu den echten Instrumentals. Hinterher können wir unser „Yesterday“ nochmal anhören. „Du hörst gerade Deine suppaduppa Aufnahme“ sagen die Käfer auf dem Bildschirm. Finden wir die Aufnahme auch suppaduppa, nehmen wir sie auf einem USB-Stick mit nach Hause, für schlappe acht Euro. Weil selbst Kinder die Songs der Beatles mitsingen können, und sei es nur lautmalerisch, dürften an guten Tagen trotzdem einige Gigabyte Datenspeicher das Nobistor verlassen, mit dem zarten Schmelz der eigenen Stimme über Yesterday-Streichern. Denn Beatles-Karaoke besitzt einen sehr volkstümlichen Charakter. Und Volksmusik geht immer.
Frühstück mit Folgen
An Umsätzen in etwas größeren Dimensionen dürfte Ende 2006 Van Toffler interessiert gewesen sein. Da landete der Vorsitzende von MTV Networks zufällig am selben Frühstückstisch wie Dhani Harrison, der 31jährige Sohn des 2001 verstorbenen Beatles-Gitarristen. Toffler hatte ein Jahr zuvor mit MTV Games Harmonix erworben, die Erfinder von „Guitar Hero“, und gemeinsam tüftelte man nun an der Weiterentwicklung der Marke. Harrison kam an jenem Morgen übernächtigt an den Tisch, weil er die ganze Nacht „Guitar Hero“ gezockt hatte. Es entspann sich ein Gespräch über die Faszination für Plastikgitarren, an dessen Ende Harrison meinte, es wäre doch cool, wenn „Guitar Hero“ mit einer ganzen Plastikband gespielt werden könnte. Genau das hatten MTV/Harmonix eh vor. Knapp ein Jahr später wurde „Rock Band“ in den USA veröffentlicht.
Mit diesem Frühstücksgespräch war aber schon eine andere Idee geboren, die geradezu aberwitzig erschien: ein „Rock Band“-Spiel mit der Musik der Beatles. Dhani Harrison war ebenso Feuer und Flamme wie Alex Rigopulos, der Mitbegründer von Harmonix. In einem langwierigen Hin und Her schafften sie es, die Verwalter des Beatles-Erbe – darunter Yoko Ono und die verbleibenden Beatles Ringo und Paul – zu überzeugen, der digitalen Welt einen gewaltigen Schritt entgegen zu gehen. Denn bis dahin gab es die Songs der Beatles nicht einmal bei iTunes. Doch waren die Argumente scheinbar stichhaltig: Eine neue Welle der Begeisterung könne die Menschen erfassen; Eltern würden ihren Kindern ihr musikalisches Vermächtnis näher bringen; die geschlossenen Vertriebssysteme der Plattformen von Sony, Microsoft und Nintendo, für deren Konsolen das Spiel produziert werden sollte, verhießen einen ausreichenden Schutz vor Raubkopierern. Und da waren natürlich noch die Verkaufszahlen von „Guitar Hero“ und des gerade angelaufenen „Rock Band“ mit der Option, mit Downloadable Content ständig Nachschub liefern zu können.
Von den Machern der Gorillaz
Nun ist „The Beatles: Rock Band“ auf dem Markt. Erwartungsgemäß ist das Spiel zeitgemäßer als die Beatles-Karaoke auf der Reeperbahn. Es ist sogar, obwohl alle Nase lang ein neu gebrandetes Musikspiel erscheint, ein gewisser stilistischer Höhepunkt in der Schöpfungsgeschichte der Karaoke. Das fängt schon bei der Oberfläche an. Die Instrumente sind einer Rickenbacker, einer Gretsch Duo Jet und einem Höfner-Bass nachempfunden. Selbst die Plastik-Tombs des Schlagzeugs weisen eine leichte Marmorierung auf. Das Cinematic Intro ist ein ausgesprochener Eye-Opener. Regie führte Pete Candeland, der auch schon „Feel Good Inc.“ und „Dirty Harry“ für die Gorillaz inszenierte sowie zwei Opener für vorherige „Rock Band“-Titel. Das Charakter-Design wiederum ist eine Kopfgeburt von Jamie Hewett, dem Zeichner der „Gorillaz“ und natürlich von „Tank Girl“.
Jedes Kapitel des Storymodes, dessen Integration ins Spiel sich endlich einmal von reinen Selbstzweck löst, wird durch schöne Motion Graphics eingeleitet. In den Ladepausen vor den Songs sind Gesprächsfetzen der Band zu hören, rare Soundschnipsel, die dem Spiel den Anstrich einer Rarität geben. Die in 3D nachgebauten Stages zeigen die Sorgfalt, mit der man in die Stadien, Showbühnen und TV-Sets der 60er zurückversetzt werden soll. Grandios visualisiert sind jedoch erst recht die Aufnahmesessions in den Abbey Road Studios.
Denn um der Chronologie und einer weichgezeichneten Authentizität treu zu bleiben, konnten nicht irgendwelche Orte genommen werden. Daher hat Harmonix aus der Not eine Tugend gemacht und zeigt einen romantischen Einblick in das gemeinsame Musizieren der besten Band der Welt, ein magisches So-war-das-damals. Die Beatles im mit Teppichen ausgelegten Studio, in schummeriger Beleuchtung. Die ersten Töne erklingen, und plötzlich versetzt die Musik uns in George Dunnings illustriertes Reich aus psychedelischer Zuckerwatte, Regenbogentoren und blinkenden Blumenwiesen. Das ist so gut, dass man die letzten Lieder am besten im anspruchslosesten Modus durchspielt, bloß um nichts von den grandiosen Musikvideos zu verpassen.
Familienspaß oder Partyspiel?
Nicht, dass „The Beatles: Rock Band“ ansonsten hart zu meistern wäre. Gerade der Schwierigkeitsgrad der Gitarren- und Drumparts ist so familienfreundlich wie der Besuch eines Musicals. Richtig knifflig ist nur der dreistimmige Harmoniegesang. Wer tatsächlich drei USB-Mikrofone besitzt, muss möglichst schauen, auch drei Menschen vor die Mikros zu stellen, die auf Kommando ihr Shoo-bi-Doo eine Terz über die Leadvocals setzen können. Aber das Spiel will auch weniger fordern als vielmehr erfreuen. Und das tut es gewiss. Zwar kommt es immer noch einem Aufstand gleich, wenn jemand zu den Spielenden hinzustoßen möchte und aus den Fab Three die Fab Four werden lässt, wenn das Schlagzeug ab- und der Bass zugeschaltet werden soll. Dann ist dem Spielspaß die Menüführung im Weg, und das Procedere, vor jeder Session die Instrumente zuzuteilen, wird mit jeder Wiederholung nerviger. Aber das sind Kleinigkeiten.
Denn Beschwerden über das Fehlen dieses einen Beatles-Songs, der ja unbedingt hätte dabei sein müssen und ohne den eine Beatles-Compilation auch nur halb so viel wert wäre, weisen nur geschmäcklerische Tendenzen auf. Frech ist allerdings, dass es nur 45 Songs sind, inklusive Zugabe und damit knapp die Hälfte eines herkömmlichen Rock Band. Der Songkatalog der Band umfasst 13 Alben. Da wird noch einiges an DLC auf uns zu kommen.
Bleibt die Frage, ob das Spiel auch als Partyspiel taugt. „Guitar Hero“ und Konsorten bieten ja eine große Indiedisko-Hitparade. „While my Guitar Gently Weeps“, „Dear Prudence“ oder „Here Comes The Sun“ sind aber keine wirklichen Partyknaller, und lautes Mitgegröle bei Beatles-Songs ist irgendwie auch unentschuldbar (eine Ausnahme wäre da vielleicht „Hey Jude“, doch das ist auf der Disk nicht enthalten). Aber selbst wenn es sich irgendwo zwischen den Nischen bequem machen sollte, werden wohl andere Menschen auf das Spiel werden, die allein aus demographischen Gründen kaum den Party-Gamern zugerechnet werden könnten. Nämlich ältere Fans der Band und der Musik. Und der goldene Casual-Zug, den eine Lokomotive namens Nintendo seit einiger Zeit hinter sich her zieht, würde somit um einen Wagon erweitert.
Erschienen in de:bug, 14.10.2009