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Achnööö. So neu ist die digitale 3D-Technologie auch nicht mehr, als dass wirklich jeder Mist herangezogen werden muss, um die Projektoren auszulasten. Dachte ich, als ich die Ankündigung für Piranha 3D sah. Wie man sich doch täuschen kann. Denn der Slash-Trasher ist alles andere als ärgerlich

„Show me the way to go home. I’m tired and I want to go to bed“. Drei Männer sitzen unter Deck. Die Angst und die Anstrengungen der letzten Stunden zeichnen ihre müden Gesichter. Sie stimmen ein altes Volkslied an, so wie Männer vor einer Schlacht nach jedem noch so kleinen Hoffnungsschimmer Ausschau halten, und sei es eine Melodie aus unbeschwerten Tagen. Denn eigentlich wissen sie, dass sie gleich sterben werden. „I had a little drink about an hour ago, and it went right to my head“

Der alte Mann und das Meer

Die Szene stammt aus Steven Spielbergs „Der weiße Hai“. Sie beschreibt die Ruhe vor dem Sturm, kurz bevor das Monster das Boot attackiert. Einer der drei singenden Hauptdarsteller ist Hollywood-Legende Richard Dreyfuss. Ganze 35 Jahre später singt derselbe Dreyfuss schon wieder das gleiche Lied. Nur, dass er sich diesmal nicht auf einer groß angelegten Hochseesafari befindet, sondern eher kleine Fische jagt.

Denn Dreyfuss hat einen kurzen Gastauftritt als Angler Matt Boyd, der in seiner Nussschale gemächlich eine Flasche Whiskey leert und dann selbst zu Fischfutter wird. Mit einer Verneigung vor einem der größten Horrorfilme aller Zeiten beginnt also die Anfangssequenz von „Piranha“. Auch wenn der französische Regisseur Alexandra Aja („The Hills Have Eyes“) danach Spielbergs Kielwasser verlässt. Denn „Piranha 3D“ ist kein Film, bei dem der Zuschauer vor Anspannung Furchen in die Armlehnen des Kinosessels gräbt. Sondern eher Schenkelklopferhorror, der sich das FSK-Prädikat „ab 18“ redlich verdient.

Im Großen und Ganzen geht es bei „Piranha 3D“ um Fleisch und Verantwortung. Es ist Spring Break und Tausende von High-School-Absolventen versetzen das kleine Örtchen Victoria Lake in den Ausnahmezustand. Aus überdimensionalen Boxen tönt die amerikanische Version von Atzenmusik, die Mädels schütteln, was sie haben, die Jungs grabschen, gaffen und saufen: der breit organisierte Albtraum für das spießige Amerika. Da hat es Sheriff Julie Forester (Elisabeth Shue) doppelt schwer.

Denn sie ist nicht nur für einen reibungslosen Ablauf der Sause verantwortlich, sondern auch für ihre beiden Jüngsten, Laura und Zane. Zwar kann sie sich die alleinerziehende Mutter eigentlich auf ihren ältesten Sohn Jake (Steven R. McQueen) verlassen. Doch der ist natürlich reichlich genervt, wie jedes Jahr bei den Partys seiner Altersgenossen nicht dabei sein zu dürfen, weil er es ist, der statt der hart arbeitenden Mama auf seine Geschwisterchen aufpassen muss.

Als er auch noch vom koksigen Porno-Produzent Derrick Jones das Angebot bekommt, als Location-Scout einen Filmdreh auf einer Motoryacht zu begleiten, zahlt er Schwester und Bruder ein Schweigegeld und geht an Bord. Doch während Jake und sein heimlicher Schwarm Kelly (Jessica Szohr) mit dem Aushilfs-Heffner und dessen Häschen über die Wellen schippern – und sich an den Ufern um Vicoria Lake Teenie-Horden im eigenen Saft suhlen – verschwinden an den Randgebieten des Sees nach und nach Menschen.

Tradition

Ajas „Piranha“ ist beileibe nicht die erste Verfilmung des Killerschwarmstoffes. Der erste Piranha kam als ironische Antwort auf „Der weiße Hai“ bereits 1978 in die Kinos. Es folgte ein Sequel von James Cameron und eine Fernseh-Remake. Danach wurde es ruhig um den Schwarmfisch, dessen Ruf als erbarmungsloser Schwarmkiller inzwischen als widerlegt gilt (In Wahrheit baden Indios im Amazonasgebiet bedenkenlos in mit Piranhas „verseuchten“ Gewässern.)

Als Filmmonster funktionieren Abertausende zahnbewehrte Mäuler aber sehr gut. Sie sind eine Heimsuchung biblischen Ausmaßes, die sich hier auf einen See voller planschender Bikinischönheiten stürzen. Als ob der liebe Gott sie für ihre Unzucht strafen möchte. Und Horrorfilme sind ja oft genau das: nicht nur Gruselunterhaltung, sondern auch Parabeln auf unsere Gesellschaft. Ob es nun Georg Romeros „Dawn of the Dead“ ist, der unsere Konsumgeilheit auf die Schippe nimmt, oder „Freitag der 13.“ den vorehelichen Sex anprangert.

Das Moraldiagramm

Und auch „Piranha 3D“ steht ganz in dieser Horrortradition. Man kann ihn geradezu klassisch nennen. Umgarnt von einer blonden Schönheit, vernachlässigt der etwas spröde und tugendhafte Jake seine Pflichten. Die Rechnung folgt prompt. Schaut man sich im Laufe des Films alle Figuren an und legt dann im Kopf ein Diagramm an – mit den Achsen „Schamlosigkeit“ und „Todesart “ –, kann eines festgestellt werden: Jeder kriegt, was er verdient, denn Moral und Gnade stehen in einer direkten Korrelation zueinander.

Wer feiert, vögelt, säuft und kokst, den holen die Piranhas. Und je heftiger der persönliche „Sittenverfall“ einer Figur (oder die sexuelle Befreiung, wie man es sieht“) dargestellt wird, desto krasser ist der Abgang. Der Zuschauer bekommt schnell ein Gespür dafür, wer sich als Fischfutter qualifiziert und wer verschont bleibt. Das ist auch nicht weiter schlimm, denn die Spannung ist nur ein Element, über den „Piranha 3D“ funktioniert. Das andere ist Ekel.

Der sorgt auch für die anfangs erwähnten Schenkelklopfer, denn Aja und sein Special-Effects-Team haben sich ordentlich ausgetobt. Zum einen gefällt der Film trotz oder gerade wegen der digitalen 3-D-Technik auch optisch. Wir schwimmen mit dem Schwarm im schilfigen Brackwasser an ein Opfer heran, beobachten das Spiel von graziösen Wassernixen durch das Panoramafenster eines Bootes und tauchen hinab in den Graben, durch den die vorsintflutlichen Fresser in unsere Welt gelangt sind. Uns wird ein Gefühl für Tiefe vermittelt, für die Räume, die sich im Wasser auftun, für die Geschwindigkeit des Piranhaschwarms und unsere eigene Hilflosigkeit gleichermaßen.

Die Fische selbst – prähistorische Aggro-Versionen des uns bekannten Piranha-Standards – sind unterbissige Pfundskerle, die jedem Anglerlatein spotten. Und was sie am menschlichen Körper anrichten, wird uns dann haarklein gezeigt. Es gibt wohl kein einziges Körperteil, das nicht irgendwann abgetrennt in unseren Blickpunkt schwimmt. Wenn der Fischschwarm über den badenden Teenie-Schwarm herfällt, bekommen wir die ganze Pracht menschlicher Körperwelten vorgesetzt. Nackedeis an Fallschirmen, denen die Beine abgekaut werden.

Pralle Ärsche, die sich durch einen aufblasbaren Ring zu weit ins Wasser wagen. Stahlseile, die sich durch sonnengebräunte Haut schneiden. Die Tode häufen sich, aber sie wiederholen sich nicht. Ein makaberer und – für starke Mägen – dennoch höchst unterhaltsamer Erfindungsreichtum. Und so orthodox „Piranha 3D“ in mancher Hinsicht demnach auch sein mag: Er will uns sicherlich nicht sagen, Fleischbeschau sei schlecht und verwerflich. Dafür gibt er sich ihr selbst viel zu gerne und genüsslich hin.

Erschienen auf gamona.de