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Wie glaubwürdig sind Nachrichten im Internet? Zwei Berliner Künstler zeigen mit ihrem Projekt „Newstweek“, wie einfach es ist, Webseiten zu manipulieren.

Wie glaubwürdig sind Nachrichten aus dem Internet, wenn sie von allen Seiten manipuliert werden können? Am 4. Juli hackten sich Unbekannte in das Nachrichtennetzwerk Fox News und verbreiteten über Twitter die Nachricht, Präsident Obama sei einem Attentat zum Opfer gefallen. Hätten sie einen x-beliebigen Twitter Account dafür benutzt, die Nachricht wäre im digitalen Ozean der Falschmeldungen und Verschwörungstheorien untergegangen. Aber wer als seriöse Quelle für Nachrichten gilt, erhält auch im Netz einen Vertrauensvorschuss. Die knapp 33 000 Follower von @foxnewspolitics haben die Meldung über den Tod des Präsidenten jedenfalls weiterverbreitet.

So etwas nennt sich Transfereffekt: „Die Glaubwürdigkeit von einem klassischen Medienanbieter überträgt sich auf einen Anbieter aus dem Onlinebereich“ heißt es in einer Studie der Technischen Universität Illmenau zu Vertrauen im Internet. Ein Artikel auf einem Online-Nachrichten-Portal mit der Überschrift „Helmut Schmidt will wieder Kanzler werden“ würde vielleicht an einem 1. April die Alarmglocken schrillen lassen. Doch zweifelt der Leser auch an normalen Werktagen unglaublich klingende Nachrichten an, wenn ihr Überbringer als verlässlich bekannt ist?

Dabei wäre ein gesunder Skeptizismus angebracht. Das meinen jedenfalls Julian Oliver, 37, und Danja Vasiliev, 33. Mit ihrem Projekt Newstweek wollen die in Berlin lebenden Künstler – sie bezeichnen sich selbst als „critical engineers“, also als kritische Techniker – darauf hinweisen, dass auch Nachrichten in einem vertrauenswürdigen Umfeld von fremder Hand verändert sein könnten. Um zu beweisen, wie leicht das ist, haben sie ein Gerät entwickelt, das sich in offene Netzwerke einklinken und mit dessen Hilfe man Nachrichten gezielt manipulieren kann. Keine Internet-Seite ist wirklich vor diesem Zugriff sicher, und offene Netzwerke gibt es zuhauf, ob im riesigen Sony Center oder im kleinen Circus Lemke, dem Neuköllner Stamm-Café von Oliver und Vasilev.

Newstweek besteht aus zwei Komponenten: einer Art Netzstecker, der nur in eine Steckdose gesteckt werden muss und damit aktiviert wird, und dazu einer selbstprogrammierten Software. Das Programm führt dann eine sogenannte Man-in-the-Middle-Attacke aus. „Bevor eine Information auf unseren Rechnern zu sehen ist, geht sie an vielleicht sechs Administratoren vorbei und durchläuft 30 verschiedene Geräte. Wir fügen einfach ein weiteres hinzu.” Die Software leitet den Informationsfluss um, vom W-Lan-Router zum Newstweek-Adapter und erst dann zum mobilen Endgerät. Durch eine simple Eingabemaske können die beiden Künstler beliebige Wörter austauschen.

In einem Fenster steht, welches Wort ersetzt werden soll, etwa „Angela Merkel“, in einem anderen Fenster wird angezeigt, welchen Begriff man stattdessen benutzen will. Im oben genannten Beispiel wäre das „Helmut Schmidt“. Schon wird aus dem Altkanzler ein neuer Kanzlerkandidat – freilich nur in dem begrenzten Bereich, in dem das Netzwerk gerade aktiv ist. Oliver nennt diesen Bereich „Realitäts-Insel.“

Die Hardware von Newstweek besteht aus einem klobigen, grauen Plastikadapter. Der passt in jede Steckdose, ist absolut unauffällig und kann mit etwas technischem Verständnis sogar nachgebaut werden. Der Bauplan wird auf der Internet-Seite des Projektes bereitgestellt. „Newstweek ist nahezu unsichtbar. Der Adapter sieht aus wie ein Teil des Gebäudes”, sagt der gebürtige Neuseeländer Oliver. „Und den Eingriff in das Netzwerk kann nur entdecken, wer eine ganz spezielle Software laufen lässt. Für den normalen Nutzer ist das, was wir tun, so gut wie unsichtbar.”

Das gilt nicht nur für normale Benutzer. Das erste Mal im Einsatz war das Gerät auf dem alljährlichen Kongress des Chaos Computer Club Ende Dezember 2010. „Wir wollten nur herausfinden, ob der Adapter wahrgenommen wird. Wir haben damit gerechnet, dass wir nach einer Stunde auffliegen und der Adapter entfernt wird. Aber am Ende des Tages haben wir ihn wieder mit nach Hause genommen”, sagt Oliver. Idee und Umsetzung von Newstweek wurden im Mai vom angesehenen Linzer Digitalkunstfestival Ars Electronica mit der Goldene Nica in der Kategorie „Interaktive Kunst“ ausgezeichnet.

Dabei ist Newstweek nicht Kunst um der Kunst willen. Die beiden kritischen Techniker wollen direkte Hilfestellung geben. „Man kann sich in gewissem Maße vor solchen Fremdzugriffen schützen,“ sagt Vasilev. Er selbst nutze Virtual Private Networks, eine besonders sichere Verschlüsselungsmethode, die auch Online-Banking und E-Mails sicherer machen soll.

„Es ist wie ein Tunnel aus Titanium, der einem folgt. Man installiert das Programm auf den Rechner, und die Verbindung wird durch einen verschlüsselten Kanal geschickt, egal, von wo aus man online geht.” Zwar kann ein talentierter Hacker auch die Verschlüsselung virtueller privater Netze überwinden, aber, so Vasilev: „Dazu braucht es viel kriminelle Energie und noch mehr Aufwand. Bevor man es da probiert, wird man sich alle anderen Schwachpunkte deines Rechners heraussuchen.“

Erschienen im Tagesspiegel