Zum Inhalt springen

Super 8 - Teenage Angst
in Suburbia

Die Provinz gilt in Hollywood als hervorragendes Kontrastmittel, um außergewöhnliche Geschehnissen hervorzuheben. Und besonders gut eignet sie sich für Begegnungen mit Außerirdischen. Das beweist sich abermals im neuen Film von J.J. Abrams.

„Super 8“, eine Mischung aus Science-Fiction und Coming of Age-Geschichte, beginnt im Jahr 1979 mit der Entgleisung eines Güterzugs in der amerikanischen Kleinstadt Lillian, Ohio. Die Provinz gilt in Hollywood ja seit jeher als hervorragendes Kontrastmittel, um außergewöhnliche Geschehnissen hervorzuheben. Und besonders gut eignet sie sich für die Begegnung mit Außerirdischen.

„E.T.“ etwa landet nicht mitten in Los Angeles, sondern in einem beliebigen Suburbia. Dort schützt der kleine Elliot seinen außerirdischen Freund vor dem Zugriff des Staates, jener anonymen Instanz, die Steuern einzieht und schon daher jedes kleinstädtische Misstrauen verdient. „Die unheimliche Begegnung der dritten Art“ findet nicht in New York City statt, sondern in der Mojave-Wüste.

Treffen Menschen und Aliens also aufeinander, um sich ein bisschen zu beschnuppern, ist zumindest bei Spielberg der Schauplatz ein Ort, an dem sich Fuchs und Hase „Gute Nacht!“ sagen. Vielleicht, weil dessen Einwohnern nachgesagt wird, sie seien noch echte Menschen. Vielleicht, weil in einer Metropole, wo man die Sterne wegen der vielen Lichter und der Wolkenkratzer sowieso selten zu Gesicht bekommt, ein Raumschiff schon verdammt groß sein, um sich von der Skyline abzusetzen. In einer Kleinstadt bleiben selbst winzigste Schrulligkeiten des Lebens kaum unentdeckt. Wie sieht es da erst mit einem Alien aus, das groß ist wie ein Elefant und mehr Tentakel besitzt als ein Oktopus?

Hunde und Alienhandwerk

Dieses mehrarmige Ungetüm entkommt – zunächst unbemerkt von den Kindern, die mit ihrer Super 8-Kamera eigentlich einen Amateur-Zombiefilm drehen wollten, stattdessen aber das Zugunglück filmten – aus einem der Waggons. Böte ein Zugunfall dieser Größenordnung für ein herkömmliches Provinznest genug Gesprächsstoff für ein ganzes Jahr, geht es für die Einwohner von Lillian erst richtig los. Armeekräfte treffen für Bergungsarbeiten an der Unglücksstelle ein, erweisen sich aber als nicht kooperativ. Menschen und Maschinenteile verschwinden spurlos. Stromausfälle nehmen in dem Maße zu, in dem Überlandleitungen gemopst werden. Die Hunde des Ortes spielen verrückt und zerstreuen sich in alle Himmelsrichtungen. Vor allem auf die Hunde sollte der Mensch hören, ihnen unterstellt Hollywood ein besonderes Näschen für extraterrestrische Vorkommnisse. Und versierte Kinogänger erkennen darin gleich Alienhandwerk.

Wachstumsschmerzen

Eigentlich dient der Fluchtversuch des Außerirdischen auch nur als lautes Hintergrundrauschen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Wachstumsschmerzen der jungen Hobbyfilmer. Die sind noch zu jung für einen ersten Bart oder einen ersten Kuss, aber schon alt genug, um an den Problemen ihrer Eltern zu leiden. Die Mutter von Joe (Joel Courtney) ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Und so flüchtet sich der Sohn des Hilfssheriffs in das Zombiefilmprojekt des dicken Nachbarjungen Charles. Alice (Elle Fanning) wurde für die weibliche Hauptrolle besetzt. Sie ist das Opfer der Launen ihres saufenden Vaters, der sich für den Tod von Joes Mutter die Schuld gibt. Komplettiert wird das halbe Dutzend mit dem überdrehten Carry, dem schlauen Preston und dem Trottel Martin. Man merkt: Die Durchmischung hat sich bewährt, seit TKKG, den „Goonies“ oder dem fliegenden Klassenzimmer.

Der Weg ist das Ziel

Als J.J. Abrams kurz nach seiner Bar Mizwa einen Filmwettbewerb gewann, er dürfte damals kaum älter gewesen sein als die jungen Protagonisten in „Super 8“, nannte er in einem Interview Steven Spielberg als sein großes Vorbild. Der war sichtlich gerührt und gab dem angehenden Filmemacher einen besonderen Auftrag. Spielberg schickte Abrams einen Haufen alter Filmspulen, um sie für eine Archivierung zu bearbeiten. Es handelte sich ausschließlich um Unikate, die ersten cineastischen Gehversuche des berühmten Großmeisters. Sie waren roh, schlecht geschnitten, ungelenkt erzählt. Nichts deutete auf ein junges Genie hin, das einmal einer der erfolgreichsten Regisseure aller Zeiten werden sollte. Genau das wollte Spielberg seinem Kollegen in spe sagen. Dass nämlich der Weg das Ziel ist. Und man nur eine Aufgabe braucht, an der man dann wachsen kann.

Die Sache mit dem Alien

Daher also all diese Anlehnung an Spielberg. Abrams selbst ist inzwischen seinen Weg gegangen und alles andere als ein Rookie. Der TV-Serie „Lost“ diente er als Co-Autor. Bereits zwei mal saß er auf dem Regiestuhl für einen Hollywood-Spielfilm. Sowohl „Mission Impossible 3“ als auch der jüngste Film aus der „Star Trek“-Reihe gelten als erfolgreich und spielten mehr als eine halbe Milliarde Dollar in die Kinokassen. Seinem nun dritten Film ist deutlich anzumerken, dass er sich in Spielbergschen Traditionen sieht. Aber auch, dass es sich nicht um die Fortsetzung eines altbewährten Franchises handelt, sondern um eigenen und auch sehr persönlichen Stoff. Als die Arbeit daran ins Stocken geriet, wandte er sich an Spielberg, die beiden haben in der langen Zeit den Kontakt gehalten. Spielberg war es, der dem Plot eines Coming of Age-Films, der stark an Rob Reiners „Stand By Me“ erinnerte, die Sache mit dem Alien hinzufügte. Der Schüler nahm die Idee des Lehrers begierig auf, ebenso wie dessen Angebot, als Produzent zu fungieren.

Etwas zu viel Nostalgie?

Dem Film tat dies sichtlich gut. Die fünf Jungs und das Mädchen wachsen nicht einfach so drauflos. Sie wachsen an einer Aufgabe, mit der sie größer werden können. Ob der Anlass die Suche einer Kinderleiche ist, so wie in Stand By Me“, oder die eines Aliens, ist im Endeffekt egal. Hauptsache, die Kinder brechen auf, beweisen Mut und erkennen den Wert wahrer Freundschaft. Abrams verarbeitet in „Super 8“ sicherlich einen Großteil seiner eigenen Kindheit. Man spürt die Nostalgie, die der Film von der ersten Minute an versprüht, die in den Kulissen steckt und in den Kostümen. Sie ist vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen, und überdeckt durchaus interessante Konstellationen, etwa Joes und Charles’ Konkurrenzkampf um das Herz des einzigen Mädchens im Bunde. Aber die Risse in der Heile-Welt-Fasssae des Städtchens Lillian sind nicht sehr tief. Sie warten nur darauf, mit einem Kitt aus Erdnussbutter und Marmelade wieder geschlossen zu werden. Dazwischen wartet das große Abenteuer.

Erschienen auf gamona.de