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Attack The Block - Kommt ein Alien ins Ghetto

Kommt ein Alien ins Ghetto. Aber kommt es auch wieder raus, wenn es auf die Halbstarken trifft, die hier die Straße zu ihrem Revier und Spielplatz erkoren haben? „Attack the Block“ von den Produzenten von „Shaun of the Dead“ gibt die Antwort. Und zeigt, wie ein souveräner Kino-Mash-Up aussieht.

Kommt ein Alien ins Ghetto. Ein Witz ist natürlich immer nur so witzig wie derjenige, der ihn erzählt. Wer das Timing nicht hinkriegt oder die Pointe verkackt, ist nicht mal unfreiwillig komisch. Das trifft ebenso auf Filme zu. Also noch mal.

Kommt ein Alien ins Ghetto. Trifft es auf ein paar Jugendliche, die gerade eine Krankenschwester abziehen. Bewaffnete Jugendliche, die aus einem beschissenen Elternhaus kommen. Die schlagen das Alien tot. Denn kein Universum macht so hart wie der Block. So nennt man hier das Sozialwohnungsviertel im Süden Londons.

Daraufhin kommen weitere Aliens, „Big Gorilla Wolf Motherfuckers“ werden sie von den Kids genannt, die Reißaus nehmen. Denn diese Aliens sind größer und schwärzer und lassen sich nicht so leicht töten wie Alien Nummer Eins. Die Jäger mit den tief ins Gesicht gezogenen Kapuzenpullis, die zuvor noch alten Frauen und Sozialarbeitern schlaflose Nächte bereiteten, werden plötzlich zu Gejagten. Es geht nicht mehr um Handys und Geldbörsen. Es geht um Leben und Tod. Das klingt nicht wirklich witzig, aber „Attack The Block“ ist auch nur selten eine Komödie.

Nerd-Genre-Mash-Up-Kino

Humor ist definitiv vorhanden, ist ja auch ein britischer Film, von denen erwartet man so was. Man erwartet auch, dass der Humor so schwarz ist wie das Fell der knurrenden, auf allen Vieren laufenden Aliens, die ihre phosphorgrünen Zähne blecken und es seltsamerweise auf Moses (John Boyega) und seine Jungs abgesehen haben, den Hauptdarstellern des Films.

Aber der Humor von „Attack The Block“ lässt der Spannung den Vortritt, und den tollen Schauspielern, den teils sehr jungen Schauspielern. Manche stecken noch in der Ausbildung zum Schauspieler, etwa John Boyega, der den stillen Moses mit viel Würde spielt. Alex Esmail hingegen, im Film Pest genannt, ist den Filmemachern aufgefallen, als er in der Schule auf einer Bühne stand.

Selbst Regisseur Joe Cornish ist fast ein Neuling. Jedenfalls ist es seine erste Regiearbeit, auch wenn er sich im Fernseh-Geschäft und als Drehbuchschreiber in England und mittlerweile auch in Hollywood einen Namen gemacht hat. Vor allem ist er ein Freund und Kollege von Edgar Wright, dessen Filme „Shaun of The Dead“ und „Hot Fuzz“ zu den Paradebeispielen des intelligenten Nerd-Genre-Mash-Up-Kinos zählen. „Attack The Block“ ist soweit nicht davon entfernt. Es ist ein wilder Mischmasch aus Science Fiction und Komödie und Action und ein wenig Splatter.

Wieso um aller Welt ausgerechnet hier?

Nun ist dieser Sommer ja gespickt mit Science-Fiction-Variationen. Ein besonderes Mash-Up ist „Cowboys & Aliens“. Der Film macht sich gar nicht erst die Mühe, seinen Titel auf etwas anderes zu lenken als auf sein großes Alleinstellungsmerkmal: das noch nicht dagewesene Aufeinandertreffen zweier Genres, die als unvereinbar galten (mal abgesehen von Will Smiths Steampunk-Western „Wild Wild West“, aber als wirkliche Referenz taugt der kaum).

„Attack The Block“ verfolgt sicherlich einen etwas anderen Ansatz. Einerseits, weil der Film für einen Bruchteil des Budgets gedreht wurde, den Hollywood-Filme heute so kosten. Andererseits will er irgendwie auch kritischer sein, und das schafft er, ohne bemüht zu wirken. Aliens, die den Londoner Süden attackieren? Wieso um aller Welt ausgerechnet hier?

Man könnte jetzt spekulieren, die Aliens sind schwarz und fremd und aggressiv, und so wirken die meisten Bewohner des Ghettos für die weiße suburbane Mittelschicht oder die Hipsterjungs- und mädchen im Zentrum von Englands Hauptstadt ebenfalls. Für Typen wie den Studenten Brewis (Luke Treadaway), der auf die Gang stößt, als er ein bisschen Dope fürs Wochenende kaufen will und im Block strandet, weil der Volvo seines Papas von einem außerirdischen Meteoriten demoliert wird.

Spekulation hin oder her, es geht dem Film sicherlich vor allem darum, den Block authentisch darzustellen. Ein netter Drogendealer, der Dope verkauft (Nick Park). Ein nicht so netter Drogendealer – Hi-Hatz, der selbsternannte Boss des Viertels, eine wandelnde Persiflage auf den Swag – lässt Moses und auch andere Kids den Stoff verticken. Hi-Hatz ist ratzfatz auf 180 und zieht dann schnell seine Kanone. Vor allem aber: Armut. Hochhaussiedlungen, wenig Chancen, viel Tristesse. Nicht die Armut, die wir gerade in Bildern aus Somalia zu sehen bekommen. Eher die, in einer lebensbedrohlichen Situation zu stecken, aber nur noch das Guthaben für eine SMS auf dem Handy zu haben.

Polizei? Hol lieber die Ghostbusters

Vor allem aber schlägt sich der Film auf die Seite seiner Protagonisten. Am Anfang, als Sam (Jodie Whittaker) überfallen wird, die angehende Krankenschwester, da wünscht man den skrupellosen Jungs mit den Klappmessern klickende Handschellen zur schlechten Sozialprognose. Weil die Kamera aber Moses und Biggz, Pest, Denniz und Jerome folgt, bleibt uns nichts anders übrig, als sie plötzlich zu mögen. Wir verbrüdern uns schleichend mit dem Ghetto, erkennen die Nuancierungen, die vermeintlichen Wahrheiten, die Vorurteile.

Polizisten etwa sind hier nur Randfiguren, sie repräsentieren den Staat, der entweder schikaniert oder sonst nur durch Abwesenheit glänzt. Als Sam meint, man müsse doch die Polizei rufen, verdrehen alle nur die Augen, und sie bekommt als Antwort, man solle lieber die Ghostbusters rufen. Von denen kann man generell mehr Hilfe erwarten als von den Bullen. So ist der sicherste Platz des Viertels auch nicht das Polizeirevier.

Nein, das Safehouse ist das Hinterzimmer einer Wohnung im 19. Stock von Wyndham House, so heißt die Sozialwohnanlage und Heimat der Kids. Es ist der hermetisch abgeriegelte Raum, in dem das Dope des Dealers angebaut und abgepackt wird. Hier haben die fünf Jungs die Leiche des ersten, getöteten Aliens verstaut, nachdem sie es wie einen Rucksack als Trophäe durch das halbe Ghetto getragen haben. Hierhin ziehen sie sich nach einer verlustreichen Schlacht zurück. Die schwarzfelligen Riesenaliens mit den phosphorgrünen Zähnen auf den Fersen. Sie klettern die Fassade des Hochhauses entlang. Aber natürlich haben die Viecher keinen Schimmer davon, mit wem sie es zu tun haben. Denn kommt ein Alien ins Ghetto, kommt es nicht wieder heraus.

Ey, Alien du Hurensohn

Anfänglich wollte ich allen Kinogängern anraten, den Film irgendwie in der Originalversion zu sehen. Selbst auf die Gefahr hin, dass man mit durchschnittlichem Schulenglisch nicht jeden Satz versteht, der Moses oder Jerome über die Lippen geht. Aber das ist egal, womöglich geht das vielen Engländern aus dem feinen Oxford nicht anders. Denn für die deutsche Version befürchtete ich Schlimmes, Ghetto ist hier ja immer gleichbedeutend mit der Parodie von Kanak Sprak a la Erkan & Stefan. „Ey, Digga, ey, Alien, ey, deine Mudda is ne Hure.“

Das ist zum Glück nicht der Fall, die Synchro ist ganz in Ordnung. Zwar geht die sprachliche Eigenart der Jungs flöten, dennoch ist der Film sehenswert und zugleich ein Beweis, dass man keine superfetten Budgets braucht, um gute Stoffe umzusetzen. Es reicht, wenn das Timing stimmt und die Pointen sitzen.

Erschienen auf gamona.de