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Westeros ist ein Kontinent mit sieben Königreichen und einer verdammt hohen Mauer. Die düstere Mittelalter-Welt entstammt der Buchreihe Das Lied von Eis und Feuer. Befördert durch den Erfolg der auf der Reihe basierenden TV-Serie Game of Thrones, regt sie die Vorstellungskraft Tausender Menschen an. Diese wollen die Gassen der Hauptstadt King’s Landing durchstreifen, die Zinnen von Winterfell bemannen und von den verkohlten Türmen der Burg Harrenhal herabsehen. Das Computerspiel Minecraft gibt ihnen die Gelegenheit, genau dies zu tun.

Spätestens im vergangenen Jahr wurde klar, dass es sich beim einstigen Ein-Mann-Projekt Minecraft, das 2009 an den Start ging, um mehr handelt als um einen Lego-Technik-Baukasten für den Rechner. Das Spiel zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus.

Der Avatar wird im Überlebensmodus in einer zufallsgenerierten, fast unendlich großen Welt ausgesetzt, in der rechte Winkel das Maß aller Dinge sind. Die „Blöcke“ genannten Bausteine dieser Welt sind von unterschiedlicher Beschaffenheit und stellen Holz, Kohle, Wolle oder Edelsteine dar. Sie können abgebaut – gemined – und weiterverarbeitet – gecrafted – werden und die spielinterne Produktionskette sehr komplex machen.

Neben dem Survival-Mode bietet Minecraft auch einen Kreativ-Modus an. Der erinnert tatsächlich an ein Lego-Set, jedoch eines mit unendlich vielen Steinen. Und hier werden die aus den Büchern und der Serie bekannten Fantasy-Kulissen von Westeros zur virtuell begehbaren Welt.

Das Spiel holt – anders als die meisten Games es vermögen – seine Nutzer aus einer quasi-passiven Konsumhaltung heraus. So geschehen auch mit Jacob Granberry. Der Texaner leitet das Hobby-Projekt WesterosCraft, bei dem sich Spieler zusammengetan haben, um den kompletten Fantasie-Kontinent auf einem einzigen Minecraft-Server nachzubauen.

Es ist Fan-Fiction im besten Sinne. „Minecraft eignet sich ganz hervorragend für unser Vorhaben“, so der 24-Jährige aus Austin. „Es gibt viele Plug-Ins, die es uns erlauben, die Blöcke nach unseren eigenen Vorstellungen herzustellen.“

Plug-Ins, so heißen Modifikationen, mit denen Freizeit-Programmierer die ursprüngliche Version des Spiels um neue Gegenstände oder fotorealistische Texturen erweitern können. In das Klötzchen-Westeros wird aller Voraussicht nach ein Klassensystem eingebaut. Mit dessen Hilfe können sich Spieler entscheiden, ob sie lieber mit Schwert oder mit Magie kämpfen. Hinzu kommen vom Computer gesteuerte Spielfiguren, die dem Spieler Aufgaben geben.

Diese Offenheit bietet nicht jedes Computerspiel. Denn mit zusätzlichen Inhalten verdienen die Publisher inzwischen viel Geld – aber natürlich nur, wenn sie diese selbst liefern. „Minecraft erlaubt es uns Fans, ein eigenes Online-Rollenspiel im Universum von Game of Thrones zu bauen“, sagt Granberry.

Bei YouTube kursieren inzwischen viele Videos von aufwändig in Minecraft errichteten Gebäuden. Die Game of Thrones-Kulissen sind nur eine von etlichen Film- und Serien-Szenarien, die detailgetreu nachmodelliert wurden. Manche Baustellen, etwa ein Modell von Peking aus dem Jahr 1845, oder eine komplette Weltkarte, lassen sich ohne Verstärkung kaum vollenden.

Auch die Größenordnung von WesterosCraft ist enorm. Allein die Planung für eine große Burg wie Winterfell, in der Erzählung der Sitz der edlen Starks, braucht mehrere Wochen. Bis dann der letzte Stein gesetzt ist, dauert es noch einmal knapp einen Monat.

Bis zu 35 Spieler werkeln in dieser Zeit an einem einzigen Bauabschnitt. Um das dunkle Harrenhal komplett zu besichtigen, braucht ein virtueller Besucher zehn bis 15 Minuten. Und um von Dorne, im südlichen Zipfel der Karte, bis ganz in den Norden zur Mauer zu gelangen, braucht er mehr als vier Stunden.

Es sind unter anderem diese Freiheiten, die zum Erfolg von Minecraft und zur Bekanntheit ihres Schöpfers beigetragen haben: Der Schwede Markus Persson, genannt Notch, ist dank des Spiels zum Multimillionär geworden.

Der 33-Jährige gilt als Ikone in der Gamer-Szene. Er spendet regelmäßig hohe Summen für das Humble Indie Bundle, eine Art Wohltätigkeitsverkauf von Indie-Games. Im März verkündete er über Twitter, den privaten Jahresgewinn seiner zwischenzeitlich gegründeten Firma Mojang in Höhe von rund drei Millionen Dollar an seine Mitarbeiter verschenken zu wollen.

Kein Wunder, dass eines der beliebtesten von Fans gestalteten Gebäude in Minecraft eine Stätte ist, in der die kleinen Schöpfer ihren Schöpfergott verehren. Der Tempel of Notch zeigt einen überdimensionalen Kopf des schwedischen Programmierers. Betreten kann ihn ausschließlich, wer zuvor ein Stück virtuelles Gold in einen Brunnen schmeißt.

 

Erschienen auf Zeit.de