Anders Breivik: Normal, konservativ, Level 85
„Schön, dich wiederzusehen, Anders“ schrieb Piltavla, ein Level-85-Hexenmeister. Das Porträt seiner Spielfigur, das neben jedem seiner Einträge zu sehen ist, zeigt einen knurrigen Mann mit Schnauzbart und Soldatenfrisur. Aber er freute sich aufrichtig, als sich Anders Behrend Breivik Ende des Jahres 2010 unter dem Namen Conservatism wieder einmal im offiziellen Forum des Online-Rollenspiels World of Warcraft blicken ließ.
Damals konnte noch niemand ahnen, dass der blonde Mann, der eine Magierin namens Conservatism durch Azeroth – so heißt die Welt von „WoW“ – lenkt, sieben Monate später 77 Menschen ermorden würde. Freudig wurde er von seinen Online-Bekanntschaften begrüßt. Tatumi die Schamanin grüßte kurz und knapp mit „/wave“. Wer diesen Befehl in das Chat-Fenster des Spiels tippt, lässt seinen Avatar winken. Unter Online-Rollenspieler ist es durchaus üblich, Kommunikationsformen ins „Real Life“ zu übertragen. Breivik antwortete ihnen allen. „Amakir, lang ist’s her :))“, schrieb er, oder „Scotty, schön, dich zu sehen, Kumpel“. Er begrüßte Braxy, den „verrückten Dänen“, und er hieß Hebu willkommen, der gerade erst von seinem Auslandsaufenthalt in Dubai heimgekehrt war.
Erst jetzt, etwa einen Monat nach dem Anschlag, wurden die Einträge des Oslo-Attentäters gelöscht. Dabei waren sie rein inhaltlich wenig spektakulär. Sie gaben Zeugnis eines freundlichen Online-Miteinanders unter normalen Menschen. Darauf pocht die Spielergemeinde ja immer, dass sie aus ganz normalen Menschen besteht, und nicht aus Süchtigen und Amokläufern. Ganz unabsichtlich hat Breivik damit auch ihnen geschadet. Beklemmend war es aber vor allem, wie normal die Nettigkeiten von Breivik wirkten.
Auf den ersten Blick besteht die einzige Erkenntnis darin, dass auch Massenmörder Smileys benutzen. Entsetzt waren auch alle, die ihm kurz vor Weihnachten noch fröhlich zugewunken haben, knapp sieben Monate später. Als die Nachricht die Runde machte, da habe jemand fast hundert Menschen getötet, ein fundamentalistischer Christ und Computerspieler. Dass es Anders sei, der nette Anders. Da war sofort diese Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden mit einem Monster, nur weil man ein Hobby teilt.
„Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit diesem Typen gespielt habe“, schreibt einer. Ein anderer sagt, er habe nur zehn Minuten von Breiviks Zuhause entfernt gewohnt. Auch Piltavla der Hexenmeister ist entsetzt: „wtf you doing anders… this is just sick“. Was zum Teufel machst du da, Anders? Das ist einfach nur krank. Dem Entsetzen über die Tat folgt der Unglauben: „Er war immer der netteste Typ. Ich kannte Anders seit drei Jahren, wir haben viele Nächte lang miteinander geredet.“ So wie Piltavla äußeren sich auch andere, die ihn kannten. Er sei so normal gewesen. Und so nett.
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