Bereits ihr Name lässt erahnen, dass die „Oldiefighters” eine besondere E-Sport-Mannschaft sind: Das mit Abstand älteste “Counter-Strike”-Team der Electronic Sports League. Wir haben die Altmeister des Headshots bei ihrem Clantreffen besucht
Roter-Harry”, 48 Jahre alt und Industriearbeiter bei Volkswagen, hat frischen Zuckerkuchen in der Bäckerei besorgt. Der steht nun, vor der Augustsonne durch eine Plastikglocke behütet, auf einem Gartentisch, daneben ein Teller mit belegten Brötchen. Ein Rasenmäher rumort hinter einer mannshohen Hecke. Die schwarze Mischlingshündin Ollie wurde in die Garage verbannt, denn “Sim735″ ist mit seiner Frau extra aus Berlin angereist, und der 50-Jährige hat ein wenig Angst vor Hunden.
Auch “Chaky55″ und “Gonzo” haben den Morgen auf der Autobahn verbracht, nachdem sie aus dem Rheinland ins Niedersächsische aufgebrochen sind. “ZOD”, 48, macht den Zirkel komplett. Er hat es nicht weit, er wohnt im selben Landkreis wie “Roter-Harry”. Nun sitzen sie auf einer Terrasse in Leiferde, einem 4400 Seelenort zwischen Celle, Peine und Wolfsburg. Zum ersten Mal kommen die “Oldiefighters” in dieser Konstellation zusammen, und gemeinsam plaudern sie über gewonnene Spiele und verlorene Partien. Dabei geht es nicht um Kegeln oder Skat – eher um Leben oder Tod: Die “Oldiefighters” sind ein “Counter-Strike”-Clan.
“Jedenfalls haben die ganz schön dumm aus der Wäsche geguckt, als wir denen ein paar Headies verpasst haben”, beendet Herbert Schuldt einen seiner Monologe. “Chaky55″, so sein Clan-Name, trägt ein lausbübisches Grinsen unter seinem kräftig schwarzen Schnauzbart. Er ist Baujahr 1952 und damit der Methusalem unter den “Counter-Strike”-Senioren. Seine Wangen glühen noch immer heiß vor Freude darüber, den Großen des E-Sports ein Bein gestellt zu haben. Aber Klaus Brinkmann alias “Roter-Harry” korrigiert seinen Tischnachbarn: “Na ja, zwei oder drei -haben wir schon mal auf einmal weggefraggt”, sagt er grinsend, “aber sei ehrlich: Wir haben hinterher ganz schön auf die Fresse bekommen.”
Mit 40 Jahren ein Greis
Im Januar dieses Jahres hatte die Electronic Sports League (ESL, der größte europäische Dachverband für E-Sport) ein Freundschaftsspiel organisiert. In “Counter-Strike”-Kreisen wird ein Spiel, in dem es nur um Spaß und Ehre geht, “Gather” genannt. Und es war ein besonderer Gather: Der amtierende deutsche “Counter-Strike”-Meister “aTTaX” trat an gegen den Clan mit dem ältesten Gamern – und jeder hatte erwartet, dass die alten Herrn mit Mann und Maus untergehen. Die 22 Mitglieder der “Oldiefighters” sind im Durch-schnitt 42 Jahre alt. In ihrem erweiterten Kreis befindet sich gar ein 60-Jähriger. Das Altersmittel der 860000 Spieler, die bei der ESL registriert sind, liegt bei 19,07 Jahren. Da gilt man mit Mitte 20 Jahren als alter Sack, und jeder jenseits der 40 ist für E-Sportler quasi ein Greis. Denn um erfolgreich “Counte-Strike” zu spielen, muss man gute Reflexe haben – und die Hand-Augen-Koordination lässt mit Mitte 20 rapide nach.
“Die sind eenfach schneller als icke. Da kieckste um die Ecke, und – zack – liechste mit nem Head-shot”, berlinert “Sim735″, der eigentlich Andreas Febel heißt und als Fernmeldehandwerker arbeitet. Aber Sieg und Niederlage sind für die “Oldiefighters” nicht so wichtig. In ihrem Alter sind die meisten Kämpfe bereits gekämpft, da nimmt man auch mal einen Headshot hin. Schließlich ist der Teil des Spiels. Der Headshot nämlich, also der gezielte Schuss auf den Kopf der gegnerischen Spielfigur, ist in “Counter-Strike” das effektivste Mittel, seine Kontrahenten auszuschalten.
Hören Eltern, Pädagogen und Politiker den Namen “Counter-Strike”, schrillen bei ihnen meist die Alarmglocken – spätestens seit Robert Steinhäuser vor sechs Jahren am Erfurter Gutenberg-Gymnasium Amok lief. Dabei war Steinhäuser weder “Counter-Strike”-Spieler, noch geht es in dem Game nur um hemmungsloses Herumgeballere. Auch taktische Disziplin prägt das Spiel zweier Teams gegeneinander. Die einen sind die Terroristen, die anderen die Counter-Terroristen. Es ist ein simples Konfliktszenario, das weder Blutfontänen braucht noch ideologische Unterfütterung wie der in den USA beliebte Rekrutierungs-Shooter “America’s Army”. “Counter-Strike” zu spielen ist eigentlich einfach und doch so schwierig – vor allem für die Oldies. Denn neben biologischen Widrigkeiten, mit denen alternde – E-Sportler noch früher zu kämpfen haben als Profifußballer, gilt es, die eigenen Vorurteile und das Unverständnis des gleichaltrigen Freundeskreises zu überwinden.
Zocken nach der “Tagesschau”
Denn für die Welt da draußen ist ein zweifacher Familienvater wie Andreas Febel, der mit virtuellen Headshots sportliche Wettbewerbe entscheidet, eine seltsame Erscheinung – für die einen ist er ein ewiges Kind, für die anderen ein schlechtes Vorbild. Seine eigenen Kinder sind schon außer Haus. Aber natürlich spielen auch sie Computerspiele. Der 19-jährige Sohn mag es gerne etwas blutiger. “Det versteh ich nun überhaupt nicht”, sagt Febel, “,Doom 3′ und solche Sachen.” Er schüttelt den Kopf und fährt fort: “Ick fand selbst ‘Half-Life’ zu düster.”
Nahezu alle Kinder der -”Oldiefighters” spielen, mal mehr, mal weniger streng beaufsichtigt. Nur Klaus Brinkmanns Älteste steht auf Fußball, vor allem, seit sie in der Mädchenmannschaft des VfL Wolfsburg mittrainiert. Er spricht voller Stolz von ihr, aber die Leidenschaft für Ballsport konnte sie nicht in ihm wecken. Auch das Interesse an “Counter-Strike” überkam ihn per Zufall: “Ich habe mich anfangs gegen solche Spiele gewehrt. ‘Das wird es in meinem Haus nicht geben, weder für mich noch für meine Kinder’, habe ich gesagt.” Er schaut hinüber auf die Schaukel, die Rutsche und den mit einer Plane abgedeckten aufblasbaren Swimmingpool. “Man muss selbst seine Erfahrungen machen, erst dann kann man darüber urteilen.”
Als er die machte, war er stellvertretender Bürgermeister von Leiferde und organisierte für die Dorfjugend eine Lan-Party – gegen den Willen der CDU, “denn die Schwarzen hatten Angst vor Brandflecken auf dem Turnhallenboden”. Natürlich wurde, wie es sich für eine Lan-Party gehört, auch “Counter-Strike” gespielt. Und da hat es ihn gepackt. Vor zwei Jahren wurde aus Klaus Brinkmann “Roter-Harry”. In einem Computerraum, der mit einer Reihe dunkelgrüner Karl-May-Bände, einem Modell-U-Boot und ein paar Computerspielpackungen im Regal aussieht wie ein Jungszimmer, gründete er die “Oldiefighters”. Seither loggt sich Brinkmann freitags und samstags, kurz nach der “Tagesschau”, auf den eigenen Server ein, setzt sein schon arg ramponiertes Headset auf und lebt ganz für “Counter-Strike”; für das Teamplay, die taktischen Manöver, das Beisammensein. In den regelmäßig stattfindenden Online-Mitgliederversammlungen geht es um Organisationsfragen wie bei jedem Schrebergartenverein. Und jeder Tagesordnungspunkt wird von “Roter-Harry” fein säuberlich protokolliert.
Zum Sterben hergekommen
Inzwischen besitzen die alten Eisen Kultstatus unter den E-Sportlern. Zwar ernten sie als betagte Gamer auch jede Menge Kopfschütteln, sie haben sich aber auch Anerkennung erkämpft. Das schlägt sich in den virtuellen Gästebücher der ESL-Seiten nieder: “Meinen Respekt, in dem Alter noch Spaß am Zocken zu haben! Super Leistung! hf gl in der ESL und im RL”, steht da, aber auch: “Jetzt kommen die zum Sterben schon hierher!”
Stirbt man in “Counter-Strike”, sieht man kurz die Welt aus den Augen des Todesschützen. Das ist ein taktisches Element, um Heckenschützen aufzudecken. Was es wirklich bedeutet, tot zu sein, wissen die jungen Spieler natürlich nicht. Aber “Gonzo” weiß es. “Man hört immer wieder, es gäbe ein weißes Licht, einen Tunnel oder Ähliches. Aber da war nichts”, sagt Axel Goner und zieht an einer Zigarette. Zu Jahresanfang hatte er einen Herzinfarkt, musste reanimiert werden und trägt seitdem einen Schrittmacher. Goner war klinisch tot im Real Life. Einer seiner Heckenschützen ist das Rauchen, ein anderer wohl sein parteipolitisches Engagement. Er ist Kreisvorsitzender der Linken in Kleve. Sogar als Bundestagskandidat wurde er aufgestellt. Und Politik kann erschöpfend sein.
Jüngere ESL-Mitglieder haben bereits zwei Gonzo-Fanclubs gegründet. Ihr Leitspruch “Huldigt Gonzo und betet, dass er seinen Fünf-Jahre-Mitgliedschafts-Award noch selbst in Augenschein nehmen kann” mag zwar makaber klingen, aber Axel Goner weiß den Humor seiner Anhänger zu schätzen. Eine Konsequenz hatte die Herzattacke jedoch: “Gonzo” ist nicht mehr ganz so oft online. Jedenfalls nicht so regelmäßig wie “Sim735″, der “statt eines Gartens eine Reihe von Monitoren besitzt”. Und bei “Chaky55″ kracht es schon mal zu Hause, wenn er vor dem PC sitzt: “Einmal hat mich meine Frau dabei erwischt, wie ich einen ganzen Tag lang gezockt habe. Ich sag dir, da gab’s vielleicht Kasalla.”
Im Garten bei “Roter-Harry” sind die “Oldiefighters” zufrieden und glücklich. Sie hören sich ja sonst nur über die Kanäle ihres Teamspeak–Servers, einer Art Netztelefon für Gamer. Als die Männer gerade an der Holzschaukel zusammenstehen, wetzt plötzlich ein schwarzes Etwas schwanzwedelnd über den Rasen. Jemand muss Ollie aus ihrem Garagen-Exil befreit haben. “Sim735″ geht vorsichtshalber einen Schritt zurück. Doch da kommt auch schon die älteste Tochter des roten Harry und ruft den Hund zu sich, damit er zwischen Meerschweinchenhaus und Gemüsebeet gestriegelt werden kann. In Leiferde ist alles in bester Ordnung. Oder, wie Klaus Brinkmann sagt: “Wir stehen mit beiden Beinen im Real Life.”
Bilder: www.oldiefighters.com
Erschienen im GEE Magazin, 2008