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Das Spiel der tausend Tode

Es ist das Gegenstück zu massenkompatiblen Games, in denen nur Gegner sterben: „Dark Souls“ gilt als schwerstes Spiel des Jahres. Ständiges Scheitern ist garantiert.

Auf der ganzen Welt werden Gamer schimpfen und zetern. Sie werden sich beherrschen müssen, um ihre Controller nicht in den Bildschirm zu donnern. Und sie werden Hidetaka Miyazaki ebenso verfluchen, wie sie ihn lieben werden. Der Gamedesigner in Diensten des Entwicklungsstudios From Software ist der Mann hinter Dark Souls, dem Rollenspiel für die Playstation 3 und die Xbox 360, das einen zur Verzweiflung bringt, weil es so schwer ist und seine Schönheit nur widerwillig preisgibt.

Von Miyazaki stammt schon Demon’s Souls, das in diversen Ranglisten unter den fünf härtesten Games aller Zeiten rangiert. Wer in Demon’s Souls sein virtuelles Leben aushaucht, muss den kompletten Spielabschnitt von vorne beginnen. Dark Souls nun ist düstere Mittelalter-Fantasy in einer offenen Welt und ähnelt dem vorangegangenen Werk nicht nur wegen des Titels. Schon vor seiner Veröffentlichung am 7. Oktober galt es als das schwerste Spiel des Jahres 2011. Und vielleicht als das altmodischste.

„Es ist ein schweres Spiel, aber dafür werden wir uns nicht entschuldigen“, sagte Miazaki in einem Interview mit G4. Das muss er auch nicht. Denn wenn die Spielfigur in den mit Moos bewachsenen Burgruinen, sonnendurchfluteten Palästen und dunklen Höhlensystemen stirbt, ist der Gamer schuld und nicht das Gamedesign. So prophezeit der Japaner auch: „Ihr werdet sehr oft sterben.“

Ein Vorgeschmack auf die anspruchsvollen Kämpfe gegen überdimensionale Boss-Kreaturen gibt es gleich zu Beginn. Einem Monstrum reichen zwei kräftige Hiebe mit seiner Keule, und der Spieler kommt am Leuchtfeuer genannten Speicherpunkt wieder zu sich. Alle zuvor erledigten Gegner sind wieder da, dafür sind die gesammelten Seelen, die als Erfahrungspunkte und Währung des Spiels dienen, weg. Sie warten am Ort des Ablebens darauf, wieder eingesammelt zu werden.

Wer auf dem Weg dorthin erneut stirbt, kann den Ertrag einer kompletten Stunde Spielens verlieren. Und viele Hundert weitere Tode werden folgen. Wer unvorsichtig ist und den Axthieb eines vermeintlich leichten Gegners nicht mit dem Schild blockt, stirbt. Wer in einen Abgrund stürzt, weil er es gewohnt ist, dass ein Avatar von unsichtbaren Barrieren zurückgehalten wird, stirbt auch.

In den meisten modernen Spielen wird das Scheitern – also der eigene Tod – ausgeblendet. Der Tod im Spiel ist nur dann unterhaltsam, wenn er anderen widerfährt. Dabei ist der Tod zumindest in diesem Spiel keine Bestrafung, die es unter allen Umständen zu vermeiden gilt, sondern ein knüppelharter Lehrmeister, der gnadenlos auf Fehler hinweist.

Andere Games verzeihen mangelnde Fertigkeiten

Damit unterscheidet sich Dark Souls von vielen Blockbustern, die zur Vorweihnachtszeit um die Gunst der geschätzt 23 Millionen deutschen Spielenden buhlen. Einer Studie des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware zufolge entwickelt sich „Gaming zu einem Gemeinschaftserlebnis in der Familie“. Zwar werden vor allem Sport- und Gesellschaftsspiele im Kreis der Lieben gespielt. Aber auch Abseitigeres für Hardcore-Zocker zielt auf eine breite Käuferschicht. Es sind Unterhaltungsprodukte, in denen geballert und gemetzelt wird, die pädagogisch nicht gerade wertvoll sind und deren ästhetischer Mehrwert sich auf eine hohe Auflösung beschränkt. Aber sie zeigen sich gegenüber den mangelhaften Fertigkeiten vieler Spieler äußerst tolerant. Der Spieler soll gewinnen.

Das ist gut für diejenigen, die fordern, Videospiele mögen doch bitteschön endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Und schlecht für die Hardcore-Gamer, die sich beschweren, dass ihre Lieblingsbeschäftigung immer leichter und anspruchsloser wird.

Es gibt nur eine Schwierigkeitsstufe: verdammt schwer

„Es ist besser, wenn ein Spiel jeden erreichen kann, als wenn es so gut wie keinen erreicht. Deswegen haben wir Modern Warfare 3 mehr als Plattform denn als Videospiel gestaltet“, sagt etwa Robert Bowling vom Entwicklungsstudio Infinity Ward, das den Egoshooter Call of Duty: Modern Warfare 3 verantwortet. „Man muss dem Spieler die Kontrolle darüber geben, was er gerade erleben möchte. Unser Spiel soll buchstäblich für jedermann sein.“

Ein direkter Genre-Konkurrent von Dark Souls ist das Hochglanz-Rollenspiel The Elder Scrolls V: Skyrim. Es verschlankt das für viele Hardcore-Rollenspieler wichtige Inventar, erleichtert die Regeneration im Kampf sowie das Zielen mit einem Fadenkreuz. Dark Souls will Spieler auf andere Art faszinieren. Im Gegensatz zu redseligen Rollenspielen wie Dragon Age stehen weder Storytelling noch Grafikpracht im Vordergrund, sondern der ausbalancierte Spielmechanismus und der taktische Kampf gegen eine Schar überdimensionaler Endbosse.

Wer sich blind in die Schlacht stürzt, scheitert

Anstatt der üblichen drei oder vier Schwierigkeitsstufen gibt es in Dark Souls nur eine: verdammt schwer. Selbst die für Videospiele archetypischen Skelettkrieger – in Legend of Zelda oder God of War sind sie kaum mehr als klappernde Sparringspartner – können einem jederzeit den Garaus machen. Wer sich mit Pauken und Trompeten in die Gegnerscharen stürzt, anstatt sich erst mal abwartend hinter einem Schild zu verbarrikadieren, um die Angriffsmuster zu analysieren, scheitert gnadenlos.

Dark Souls ist deshalb nichts für die breite Masse, sondern nur für eine eng definierte und leidensfähige Zielgruppe. Aber: „Die Befriedigung, die Sie aus dem Bewältigen einer besonders schwierigen Aufgabe ziehen, ist umso größer“, sagt Entwickler Miyazaki. Und allen, die sich so gar nicht mit den Anforderungen des Spiels anfreunden können, gibt er noch einen Tipp mit auf den Weg: „Schmeißt eure Controller nicht zu oft hin. Die Dinger sind teuer.“

erschienen auf Zeit.de