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ZEIT ONLINE: Herr Kislyi, die Spiele von Wargaming.net, allen voran World of Tanks, werden von mehr als 100 Millionen Menschen gespielt. Viele kommen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Woran liegt das?

Victor Kislyi: Sowjets, und ich zähle mich jetzt mal dazu, sind stolz auf russische Panzer. Auf die Tatsache, dass wir den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben, weil wir die schwere Industrie hinter den Ural verlagern konnten und von Sibirien aus die Massenproduktion von T-34-Panzern gestartet haben. Der Panzer ist ein Symbol. Er ist wie das Spitfire-Jagdflugzeug für die Briten oder der Whiskey für die Schotten. Ich glaube auch, dass die Russen stolz auf Wargaming.net sind. So wie die Isländer auf Eve Online und die Deutschen auf Mercedes oder die Autobahn.

ZEIT ONLINE: Wird Ihr drittes Spiel, World of Warships, eine Art World of Tanks mit Schiffen?

Kislyi: Nein, obwohl auch wir anfangs dachten, das Konzept lasse sich einfach so übertragen und Schiffe seien auch nur schwimmende Panzer. Aber es sind wirklich zwei vollkommen unterschiedliche Spiele. Das Gefechtsareal ist viel größer, die Reichweite der Geschütze, man muss manövrieren, die Schiffe richtig positionieren, und viel stärker die Mitspieler einbeziehen. Panzer fahren vor und zurück, nach rechts und links, sind aber eigentlich sehr viel unbeweglicher. Das End Game von World of Warships wird dagegen sehr viel komplizierter sein und deswegen auch eine tiefere Spielerfahrung bieten.

ZEIT ONLINE: Dabei ist World of Warplanes, ihr zweites Spiel, ja angeblich deswegen nicht so erfolgreich wie World of Tanks, weil es vielen Spielern zu kompliziert ist.

Kislyi: Ja, Flugzeuge kommen niemals zum Stehen, man muss gleichzeitig fliegen und schießen. Deswegen arbeiten wir gerade an einem neuen PvE-Tutorial. Neue Spieler lernen den Umgang mit Kampfflugzeugen, indem sie gegen Computergegner kämpfen. Denn menschliche Gegner holen einen unerfahrenen Piloten sofort vom Himmel, was schnell frustrierend sein kann.

ZEIT ONLINE: Viele Fans von Militärsimulationen halten Ihre Spiele für oberflächlich.

Kislyi: Es gibt viele authentische Kriegsspiele mit Panzern und Schiffen. Die sind aber nicht sonderlich beliebt und werden nur von einer Handvoll Menschen gespielt, dafür aber sehr, sehr intensiv. Wir hingegen bieten historische Kriegsführung für die Massen. Und das könnten wir nicht, wenn wir die Gefechte authentisch gestalten würden. Wir geben unseren Spielern Adrenalin in viertelstündiger Dosierung. Deswegen haben wir etwa die Schiffe in World of Warships schneller gemacht.

ZEIT ONLINE: Warum ist das Wargaming-Hauptquartier eigentlich auf Zypern?

Kislyi: Weil Zypern ein kleines Land ist, eine Business-Insel. Wir wollten Geschäfte mit der EU und mit Amerika machen und dafür eignet sich Zypern sehr viel besser als Minsk. Ein Geschäftsnetzwerk auf Zypern aufzubauen ging sehr schnell, wir trafen sofort auf die richtigen Leute. Inzwischen sind wir für die Wirtschaft des Landes sehr wichtig. Auf Zypern hilft man sich gegenseitig und mit uns kann man reden, wir sind vernünftige Geschäftsleute, da laufen manche Dinge einfach schneller.

ZEIT ONLINE: Wäre es denn schwierig gewesen, ein privates Unternehmen dieser Größe von Weißrussland aus zu führen?

Kislyi: Wir sind keine weißrussische Firma mehr, sondern international. 3.400 Menschen sitzen in 16 Büros über den ganzen Planeten verteilt, in Sydney und Singapur, in Seattle und San Francisco. Aber wir Weißrussen sind trotzdem ein sehr patriotisches Volk, ich bin sehr glücklich, in Minsk geboren worden zu sein.

ZEIT ONLINE: Obwohl Ihr Heimatland als letzte Diktatur Europas gilt?

Kislyi: Wir bei Wargaming.net machen Business, keine Politik, aber nun gut. Nehmen wir das Thema Bildung: Ich habe wahrscheinlich eines der besten Bildungssysteme der Welt durchlaufen. Mein Vater hat mich früh auf eine Schach-Schule geschickt, mit sieben habe ich auf einem sehr hohen Niveau gespielt. Dann habe ich kostenlos eine staatliche Universität besucht und die bestmögliche Ausbildung in Mathematik und Physik genossen. Dadurch wurde ich zu einem besseren Menschen. Warum also sollte ich meine Heimat nicht mögen? Das Land ist wunderschön, mit Wäldern und Seen und wunderbaren, friedlichentoleranten Menschen. Und was die Politik betrifft: Nennen Sie mir ein Land, in dem die Politik perfekt ist.

ZEIT ONLINE: Es gibt doch wohl einen großen Unterschied zwischen einem Land, in dem Politik nicht perfekt ist und einem, das Oppositionelle einsperrt.

Kislyi: Genau deswegen sollten wir uns nicht über Politik unterhalten. Ansonsten sitzen wir hier bis Mitternacht. Jeder sollte wissen, was er kann, und wir bei Wargaming.net sind sehr gut darin, Geschäfte zu machen, international erfolgreiche Onlinecomputerspiele. Dafür arbeiten wir sehr hart und Weißrussland hat uns die Möglichkeit gegeben, mit niedrigen Lohnkosten und vielen talentierten weißrussischen Programmierern.

ZEIT ONLINE: Haben Sie Angst, die aktuellen Spannungen zwischen Russland und dem Westen könnten sich ausweiten und sich negativ auf Ihr Geschäft auswirken?

Kislyi: Wissen Sie, unsere Spiele sind eher wie Schach. Und Menschen, die Schach spielen, gehören zu den friedvollsten der Welt. Wir sind selbst keine Fans von Kriegen. Deswegen mache ich mir natürlich Sorgen, es herrscht nun einmal Krieg und Menschen werden getötet. Die momentane Situation ist schlecht für alle, in Russland gibt es ein Embargo auf westliche Lebensmittel, man kriegt keinen Parmesan, keinen Prosciutto, keine Austern. Während der Maidan-Demonstrationen hatten wir sogar einen Plan B in der Schublade, um in kürzester Zeit 200 Menschen aus unserem Büro in Kiew zu evakuieren.

ZEIT ONLINE: Sie haben Ihren Vater erwähnt, der anscheinend eine konkrete Vorstellung von Ihrem Karriereweg hatte. War er begeistert, als Sie Ihm erklärt haben, Sie möchten nicht als Physiker arbeiten, sondern Spiele erfinden?

Kislyi: Sagen wir so: Es hat etwas Überzeugungskraft gebraucht. Ich habe damals zugestimmt, Physik zu studieren. Danach aber habe ich ihn überreden können, dass Videospiele die Zukunft sind, dass die Industrie wachsen und viel größer werden würde als damals, 1996.

ZEIT ONLINE: Was hat Sie so sicher gemacht?

Kislyi: Na, die Zahlen. Ein Spiel kostete damals vielleicht 50 Dollar. Das waren natürlich noch verpackte Spiele, und ich rechnete ihm vor, wie viel von fünf Millionen verkauften Einheiten übrig bleiben würde.

ZEIT ONLINE: Und das hat ihn überzeugt?

Kislyi: Ja, auch weil er wusste, wie süchtig ein gutes Spiel machen kann. Mein Vater spielte damals wie besessen Command & Conquer, er war ein geradezu fanatischer Gamer. Er bekam deswegen sogar richtig Ärger mit meiner Mutter, weil er zu viel spielte.

ZEIT ONLINE: Inzwischen besitzt Ihr Vater einen nicht gerade kleinen Anteil am Unternehmen.

Kislyi: Er kümmert sich um den Papierkram, Steuern und Bankgeschäfte, um den ganzen langweiligen Kram. Er war schon immer ein Teil der Firma, er hat uns finanziell unterstützt, als es nicht so gut lief. Eigentlich wurde alles, was unsere Familie hatte, in Computerspiele investiert.

Erschienen auf Zeit Online