Fabian Dittrich und seine beiden Freunde Vin Tran und Dominic Brasnovneau machen ihren ausgedehnten Business-Trips quer durch Südamerika nicht zum Spaß, zumindest nicht nur. Ihr Trip ist eine Entdeckungsreise auf der Suche nach Gründern, Reisenden und Workaholics, die digitale Dienstleistungen von unterwegs erbringen. Die drei Gründer suchen nach Gleichgesinnten, die andere Wege als ihre Eltern eingeschlagen haben und auf einen mies bezahlten Job im öffentlichen Dienst von Peru oder Chile verzichten, um sich selbst zu verwirklichen.
„Ich habe lange nicht verstanden, was Steve Jobs mit ‚stay foolish’ sagen wollte“
Die berühmte Rede von Steve Jobs, die er 2005 an der Stanford University gab, dient vielen Gründern als Vorbild. Es scheint, als hätten sich manche „Stay hungry, stay foolish“ auf die Netzhaut tätowieren lassen, um die Worte nicht aus den Augen zu verlieren. „Ich habe lange nicht verstanden, was Steve Jobs mit ‚stay foolish’ sagen wollte“, sagt Pancho Trocoso. „Be smart wäre doch viel logischer, oder?“ Viermal bewarb sich der 33-Jährige für Start-Up Chile, viermal wurde er abgelehnt. Er hatte alle seine Ersparnisse aufgebraucht, seine Freunde und seine Familie rieten ihm, sich endlich wieder einen festen Job zu suchen.
Doch Trocoso wollte es ein allerletztes Mal probieren. Dann, einen Tag vor der Einreichungsfrist, brach er sich bei einem Unfall das Schien- und Wadenbein. Er ließ sich kurzerhand den Laptop ins Krankenhaus bringen und noch während er für die Operation vorbereitet wurde, arbeitete er an der fünften Bewerbung.
Er wurde angenommen — das Happy End seiner ganz persönlichen Legende: „Wenn jeder, der es gut mit dir meint, dich zum Aufgeben überreden will, musst du schon ziemlich verrückt sein, um weiterzumachen. Ich glaube, genau das wollte Steve Jobs sagen.“ Inzwischen arbeitet sein Startup uanbai.com mit Twitter und Facebook zusammen, damit Menschen ihre Stromrechnungen per Instant Message bezahlen können.
Ein Menschenschlag, der dabei helfen soll, eine neue Entrepreneur-Kultur zu starten
Frank Den Bow wiederum kommt aus New York City. Auch ihn treffen die drei Berliner im Haus von Start-Up Chile. So heißt das luftige, mehrstöckige Büro des staatlichen Förderprogramms, in dem Gründer auf bunten Sitzgelegenheiten an ihren Business-Ideen feilen. Den Bow ist ein typischer Startup-Expat, der seine Ideen dahin trägt, wo es niedrige Lebenshaltungskosten gibt und eine hohe Anzahl von Sonnenstunden.
„Schon als Kind habe ich Kram auf Ebay verkauft und im College dann mein erstes Startup gegründet“, sagt der Endzwanziger. „Zwischenzeitlich war ich als Programmierer festangestellt, aber den Job habe ich an einem Freitag, den 13., gekündigt.“ In sogenannten Accelerators trifft man häufig auf ganz ähnliche Biographien. Der Amerikaner verkörpert einen Menschenschlag, der dabei helfen soll, eine neue Business-Kultur zu starten.
Bei vielen Programmen habe er sich beworben. „Start-Up Chile waren einfach die ersten, die mir zugesagt haben“, sagt Bow, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Rapper Common hat. Er trägt Vollbart, Basecap und eines der T-Shirts, die er über seine Firma Startupthreads vertreibt. Die Geschäfte laufen gut, vor allem dank anderer Jungunternehmer. Sein Kundenstamm besteht hauptsächlich aus Firmen, die T-Shirts als Belohnungen für ihre Crowdfunding-Kampagnen, als Werbegeschenke für Kunden oder für Präsentationen auf Festivals wie der SXSW brauchen.
Wenn Den Bow nicht gerade um die Welt reist, arbeitet er — und eigentlich arbeitet er auch, während er reist. „Die Leute fangen langsam an zu verstehen, dass man nicht die ganze Zeit am selben Ort sein muss, wenn man sich erst mal mit den entsprechenden Tools vertraut gemacht hat.“ Aber er weiß auch: „Dieser Lifestyle ist nur etwas für jemanden, der keine Kinder hat.“
„Keiner sagt uns: Verwirkliche dich, lebe deinen Traum.“
Puerto Montt ist eine mittelgroße Hafenstadt im Süden Chiles. Hier gibt es doppelt so viel Niederschlag wie in Seattle. Wer einen Job hat, lebt von der Lachsfischerei oder baut Obst und Gemüse an. Dass es hier einen Coworking-Space wie Sinergia.me gibt, ist ein kleines Wunder. Der Name bedeutet grob übersetzt: „Vernetze mich“. Die Büroräume befinden sich im zweiten Stock eines unscheinbaren Gebäudes und erinnern nicht im Entferntesten an die lichtdurchfluteten Räume vonStart-Up Chile in der Hauptstadt. Studenten zahlen umgerechnet sechs Euro Miete im Monat, alle anderen etwa 20 Euro.
Alejandro Marín ist der Geschäftsführer und koordiniert die einzelnen Gründer, die häufig an ihren ersten Projekten sitzen. „Die meisten von uns kommen aus ärmlichen Verhältnissen, manche auch aus der Mittelklasse. Wir werden von klein auf darauf getrimmt, eine Arbeit zu finden und damit zufrieden zu sein. Man hat eigentlich keine andere Wahl. Keiner sagt uns: Verwirkliche dich, lebe deinen Traum.“
In Lateinamerika ist ein Entrepreneur nicht unbedingt jemand, der für seine Risikobereitschaft bewundert wird. Die Länder liefern Rohstoffe und Nahrungsmittel: Kupfer, Holz, Lachs, Obst und Gemüse werden exportiert, die Weiterverarbeitung erfolgt im Ausland, wie etwa Deutschland. Die Eltern der Startup-Gründer waren Bauern, Fischer oder Handwerker und ihre Kinder sollten es ihnen eigentlich gleichtun.
Auch Marín hat ein Startup. „Kleinbauern produzieren knapp 70 Prozent aller Lebensmittel weltweit, werden aber sehr schlecht bezahlt. Wir arbeiten mit ihnen zusammen und versuchen, ihre Erzeugnisse in Marken zu verwandeln, die auf dem internationalen Markt bestehen können.“ In der Gegend wächst zum Beispiel Ajo Chilote, ein milder Knoblauch mit überdimensionalen Knollen. Marín will die Knolle für Restaurants und Gourmets interessanter machen. „Die meisten Projekte bei Sinergia.me haben einen sozialen Hintergrund, haben mit Umweltschutz, Recycling und kollaborativer Arbeit zu tun,“ sagt er. In Städten wie Puerto Montt sind Startups oft Hilfe zur Selbsthilfe.