Wird es ein Leben nach dem Fußball geben?
Ist die Welt in 30 Jahren noch immer so verrückt nach Fußball? Vielleicht fiebern wir dann ja Cyber-Hockey-Spielen oder postapokalyptischen Gladiatorenkämpfen entgegen. Auf der Suche nach fernen Anzeichen eines Wandels.
Fußball ist überall. Auch die ersten beiden Artikel dieser Sport-Serie befassten sich mit dem runden Leder. Mit Algorithmen bei der Spielerauswahl und mit Virtual Reality beim Training. Der Fußball, er ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen vielen Kulturen. Seine Protagonisten werden auf hochhausgroßen Werbe-Plakatwänden als Helden inszeniert. Wir lieben es, ihre digitalen Ebenbilder durch Computerspiele zu steuern, oder uns 24/7 mit Freunden über ihre Leistung auszutauschen. Man kann, so scheint es zumindest, dem Sport gar nicht entkommen.
Aber wird die Menschheit in 30 Jahren immer noch verrückt nach Fußball sein, oder gibt es dann eine andere Sportart? Konsumieren wir vielleicht grausame Gladiotorenspiele, so wie im Film „The Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger? Und wo lässt sich der Wandel beobachten, falls es ihn bereits gibt?
Vielleicht fängt der Wandel ja in Charlottenburg an. 2014 hat hier, im Berliner Westen, eine Fußballmannschaft kollektiv die Sportart gewechselt. Die Stollenschuhe wurden aussortiert, seitdem spielen die Herren des SSV Rapid Charlottenburg Floorball. Der Anlass für den Wechsel waren die schlechten Verlierer.
„Von vier Spielen, die wir in der letzten Saison noch mitgemacht haben, endeten zwei mit Handgreiflichkeiten“, erklärt Igor Lechner den radikalen Schritt. Ganz schlimm war es beim Futsal, einer südamerikanischen Variante des Hallenfußballs: „Einmal wurde der Schiedsrichter angegangen, einmal einer unserer Spieler. Und wenn die Emotionen so hochkochen, dann zerstört das den Sport.“
Floorball ist körperlos, taktisch, teamorientiert und genderneutral
Lechner ist der Vereinspräsident des SSV Rapid. Beim Floorball schätzt er die familiäre Atmosphäre. Der Verband ist übersichtlich, es gibt elf Vereine in der Region, da kennt jeder jeden. Vor allem gäbe es keine Väter, die dem Schiri die Fresse polieren wollen, wenn der Sohnemann das Tor nicht trifft.
Tatsächlich ist Floorball ausgesprochen friedlich. Es ist eine Art Eishockey, aber nicht nur ohne Eis, sondern vor allem ohne Bodychecks. Floorball ist körperlos, dazu taktisch, teamorientiert und genderneutral. Männer und Frauen spielen in gemischten Teams. Erst ab der Zweiten Bundesliga gibt es reine Herren- und Damen-Mannschaften.
Im letzten Jahr bekam der nationale Verband seine Zulassung beim Deutschen Olympischen Sportbund, ein bürokratischer Meilenstein. Und man zählt inzwischen mehr als 10.000 Mitglieder. Floorball ist eine taktische und zugleich sanfte Sportart der Zukunft. Jean-Luc Picard, der philanthropische Kapitän der Enterprise, hätte Floorball gemocht. Aber welche Chance hat der Sport, Fußball irgendwann abzulösen? Was in Charlottenburg klappt, müsste doch überall auf der Welt gehen.
Fast 60 Prozent aller Artikel handelten vom Fußball
Thomas Horky muss heftig lachen, als er die Frage hört, denn seiner Meinung nach wird so bald keine andere Sportart eine realistische Chance haben: „Fußball wird weltübergreifend gespielt und ist sehr gut darstellbar. Seine Spitzenposition könnte sich sogar noch ausbauen.“
Horky leitet den Bereich Sportjournalismus an der Hochschule Macromedia, einer privaten Fachhochschule in Hamburg. Bereits 2011 hat er in einer seiner Studien untersucht, welche Sportarten am meisten Aufmerksamkeit von Printmedien erhalten. Das Resultat ist wenig überraschend: Knapp 60 Prozent aller Artikel handelten vom Fußball. Tennis, Eishockey, Handball oder die Formel 1 sind weit abgeschlagen.
Die beliebteste deutsche Sport-Website ist die Homepage eines reinen Fußball-Mediums. Die höchsten TV-Zuschauerzahlen werden von Fußball-Übertragungen erzielt. Auf dem ersten Platz: das WM-Finale 2014, gefolgt von neun weiteren Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Die erste fiktionale Sendung findet sich auf Platz zwölf, eine Folge der Schwarzwaldklinik, das Sendedatum: 17. November 1985.
Fußball ist auch deswegen unangefochten Tabellenführer, weil die Medien unser Wissen immer mehr vertiefen. Es ist wie bei einer guten TV-Serie: Je mehr man über die Geschichte und die Figuren weiß, desto mehr Bedeutung haben kleinste Ereignisse. Und viel deutet darauf hin, dass die Konzentration der Aufmerksamkeit weiter voranschreitet.
Fußball: der Kitt unserer Gesellschaft?
„Fußball in den Medien ist gleichbedeutend mit einer hohen Partizipation der Menschen, da spielt eine ganze Menge Nationalismus und Patriotismus mit, aber auch Gemeinschaftsgefühl“, erklärt Horky das Phänomen. „Ein Kollege hat gesagt, Fußball sei der Kitt unserer Gesellschaft. Und wann sitzt denn die ganze Familie noch gemeinsam vor dem Fernseher?“
Natürlich muss man unterscheiden zwischen dem Fernsehsport Fußball und dem Breitensport. Im Deutschen Olympischen Sportbund sind 34 olympische und 29 nichtolympische Disziplinen vertreten. Das sieht nicht nach Monokultur aus. Aber auch hier ist der mit Abstand größte der Deutsche Fußball Bund, mit 6,8 Millionen Mitgliedern.
Wo andere Spitzensportler um jedes kleine Sponsoring kämpfen müssen, zahlen Fußballvereine ihren jungen Angestellten Managergehälter. Denn die vom normalen Spielbetrieb abgekoppelten Profi-Ligen, allen voran die englische, machen Milliardenumsätze. In den ehemaligen englischen Kolonien in Asien gibt es kaum einen Jungen, der nicht in einem Trikot von Manchester oder Arsenal herumläuft. Auch deutsche Clubs wie Borussia Dortmund und Bayern München sind scharf auf den Markt im fernen Osten. Irgendwann, so scheint die Hoffnung, werden sämtliche anderen Kleidungsstücke abgeschafft. Das wäre mal eine Monokultur.
Der Grund, warum auch in Zukunft weder Basketball noch Floorball eine Konkurrenz sind, liegt allerdings im fernen Westen. Die USA sind für ausländische Clubs und für sämtliche anderen Marken, die im Kielwasser des Weltverbands FIFA schwimmen, der attraktivste Markt der Welt. In den 70ern und in den 90ern scheiterte der Versuch, Fussball in Nordamerika zu etablieren. Nun scheint die Zeit reif.
„Alles spricht dafür, dass sich der Sport auch in den USA durchsetzen wird“, sagt Professor Horky. Ein Grund sind die Hispanics, die in die USA einwandern und ihre Fußballbegeisterung mitbringen. Ein anderer Grund sind die Hipster: „Bei der Avantgarde in den USA gilt es als cool, Fußball zu gucken und zu spielen und das sind ja immer die Vorboten.“ Während Soccer wächst, geht es mit dem uramerikanischen Baseball langsam bergab.
Fußball wird auch in 30 Jahren der populärste Sport der Welt sein. Jedenfalls in den Medien. Man könnte sich jedoch fragen, ob die besten Teams der Welt dann immer noch in Europa spielen. Oder aber in New York, Los Angeles und Chicago.